Dienstag, 15. Oktober 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1880

Lach: Wie es scheint, wollte Roger Suffo nur ein weiteres Stück DDR-SF begutachten, ist aber durch das Label "Phantastische Erzählungen" zu etwas Anderem gelockt worden:

Roger Suffo: Rezension zu Klaus Möckel „Die gläserne Stadt“


Als Untertitel erlaubte sich der Verlag Das Neue Berlin „Phantastische Erzählungen“. Gerade wegen der Mehrdeutigkeit von „fantastisch“ eine Hochstapelei. Wer etwas über DDR-Literatur wissen will, sollte allerdings dieses Büchlein nicht ignorieren. Die meisten der sieben Geschichten sind eindeutige Kritiken an realen DDR-Problemen. Zumindest die Eröffnungsgeschichte „Der Irrtum“ aber halte ich für gescheitert. Sie hat einen genialen Grundgedanken: Da sich manche Entscheidungsträger zu DDR-Zeiten aufführten wie feudale Kleinfürsten, drehte Möckel den Spieß um, versetzt einen Feudalherren auf der Flucht vor den Wellen der französischen bürgerlichen Revolution ins DDR-Thüringen und zeigt, dass er sich dort als Chef breit machen kann. Also eigentlich zeigt er das nicht, denn der Hobbyforscher, der ihn auf die Zeitreise schickt, kommt erst 20 Jahre später an und merkt nur das Ergebnis. Die über 50 Seiten drehen sich überwiegend um Nebenhandlungen oder Behauptungen. Alles das, was spannend gewesen wäre, wird rausgeschnitten; anstattdessen gibt es einen besänftigenden Schluss, der aber Unlogiken in der Erzählperspektive verstärkt.
Auch „Das Märchen vom Träumen“ leidet unter der Vordergründigkeit der dick aufgetragenen Absicht. Ich wollte das Buch schon enttäuscht abtun, las dann aber mehrere kurze Texte nacheinander, die einfach vergnüglich oder richtig grotesk waren. Die jeweilige Kürze gönnte dem Autor, sich ganz auf seine eine Idee zu stürzen und Lesenswertes draus zu machen. Besonders „Flusspferde eingetroffen“ karikierte Kleinbürgerlichkeit ins Absurde. Die Idee: Die Heldin hört, es ist modern, Flusspferde zu besitzen, stellt sich an die DDR-typische Schlange an und erwirbt etwas, womit sie nichts anfangen, das sie aber auch nicht loswerden kann. Diese Geschichte besitzt dann auch noch eine diese Idee übersteigernde Pointe.

Die Titelgeschichte ist das nicht nur ihrer Länge wegen. Die Hauptstadtgläubigkeit der DDR-Führung verführt Möckel zu einer Geschichte, in der eine dreiteilige vernünftige, ruhige Welt gemalt wird. Die Heldin ist Dozentin an einer (haupt)städtischen Elitebildungseinrichtung. Ihr Beststudent düpiert sie bei der feierlichen Zeugnisübergabe damit, dass er nicht im Glanz des Glases bleiben möchte, sondern raus in die Praxis der „Bezirke“. Aus dem Wunsch heraus, ihn draußen wegen seines ihr unbegreiflichen Verhaltens zu befragen wird eine Reise in eine andere Welt. Manche Längen sind auch hier enthalten, aber das Ende der Geschichte vermeidet die vordergründig didaktische Lösung, sie ist poetisch und … also es wäre schade, hätte ich die nicht gelesen. Freunde von Mr. Spock von der Enterprise werden ihretwegen vielleicht knurren ...


***

Zur allgemeinen Beruhigung:  Dort, wo die "Gedichte des Tages" angekündigt werden, sind sie auch zu finden:

Es folgen zwei Gedichte, bei denen ich als Betrachter unsicher bin. Meine Unsicherheit als Autor erwächst aus dem Problem, dass das Gedicht, das im Moment "Lampedusa II" heißt, schon eine Feuertaufe im Autorenkreis hinter sich hat, dort aber nur Stellen genannt worden waren, die "unbedingt gerettet werden" müssten, der Rest aber nicht tragfähig war.Ist es dies nun?
Die andere Unsicherheit erwächst aus der Geschichte. Der Mann, dem der Spruch zugeschrieben wird, ist nicht unterm Schaffott gestorben. Die historische Gestalt kann es also nicht sein. Das Sinnbild aber griffe vielleicht in die Zukunft. Es ergibt sich die klassisch dumme Deutschlehrerfrage "Was will uns der Künstler damit sagen? ...

Sebastian Deya: l’etat, c’est moi!


.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Follower