Roger Suffo: Rezension zu Klaus Möckel „Die gläserne Stadt“
Als
Untertitel erlaubte sich der Verlag Das Neue Berlin „Phantastische
Erzählungen“. Gerade wegen der Mehrdeutigkeit von „fantastisch“
eine Hochstapelei. Wer etwas über DDR-Literatur wissen will, sollte
allerdings dieses Büchlein nicht ignorieren. Die meisten der sieben
Geschichten sind eindeutige Kritiken an realen DDR-Problemen.
Zumindest die Eröffnungsgeschichte „Der Irrtum“ aber halte ich
für gescheitert. Sie hat einen genialen Grundgedanken: Da sich
manche Entscheidungsträger zu DDR-Zeiten aufführten wie feudale
Kleinfürsten, drehte Möckel den Spieß um, versetzt einen
Feudalherren auf der Flucht vor den Wellen der französischen
bürgerlichen Revolution ins DDR-Thüringen und zeigt, dass er sich
dort als Chef breit machen kann. Also eigentlich zeigt er das nicht,
denn der Hobbyforscher, der ihn auf die Zeitreise schickt, kommt erst
20 Jahre später an und merkt nur das Ergebnis. Die über 50 Seiten
drehen sich überwiegend um Nebenhandlungen oder Behauptungen. Alles
das, was spannend gewesen wäre, wird rausgeschnitten; anstattdessen
gibt es einen besänftigenden Schluss, der aber Unlogiken in der
Erzählperspektive verstärkt.
Auch
„Das Märchen vom Träumen“ leidet unter der Vordergründigkeit
der dick aufgetragenen Absicht. Ich wollte das Buch schon enttäuscht
abtun, las dann aber mehrere kurze Texte nacheinander, die einfach
vergnüglich oder richtig grotesk waren. Die jeweilige Kürze gönnte
dem Autor, sich ganz auf seine eine Idee zu stürzen und Lesenswertes
draus zu machen. Besonders „Flusspferde eingetroffen“ karikierte
Kleinbürgerlichkeit ins Absurde. Die Idee: Die Heldin hört, es ist
modern, Flusspferde zu besitzen, stellt sich an die DDR-typische
Schlange an und erwirbt etwas, womit sie nichts anfangen, das sie
aber auch nicht loswerden kann. Diese Geschichte besitzt dann auch
noch eine diese Idee übersteigernde Pointe.
Die
Titelgeschichte ist das nicht nur ihrer Länge wegen. Die
Hauptstadtgläubigkeit der DDR-Führung verführt Möckel zu einer
Geschichte, in der eine dreiteilige vernünftige, ruhige Welt gemalt
wird. Die Heldin ist Dozentin an einer (haupt)städtischen
Elitebildungseinrichtung. Ihr Beststudent düpiert sie bei der
feierlichen Zeugnisübergabe damit, dass er nicht im Glanz des Glases
bleiben möchte, sondern raus in die Praxis der „Bezirke“. Aus
dem Wunsch heraus, ihn draußen wegen seines ihr unbegreiflichen
Verhaltens zu befragen wird eine Reise in eine andere Welt. Manche
Längen sind auch hier enthalten, aber das Ende der Geschichte
vermeidet die vordergründig didaktische Lösung, sie ist poetisch
und … also es wäre schade, hätte ich die nicht gelesen. Freunde
von Mr. Spock von der Enterprise werden ihretwegen vielleicht knurren
...
***
Zur allgemeinen Beruhigung: Dort, wo die "Gedichte des Tages" angekündigt werden, sind sie auch zu finden:
Es folgen zwei Gedichte, bei denen ich als Betrachter unsicher bin. Meine Unsicherheit als Autor erwächst aus dem Problem, dass das Gedicht, das im Moment "Lampedusa II" heißt, schon eine Feuertaufe im Autorenkreis hinter sich hat, dort aber nur Stellen genannt worden waren, die "unbedingt gerettet werden" müssten, der Rest aber nicht tragfähig war.Ist es dies nun?
Die andere Unsicherheit erwächst aus der Geschichte. Der Mann, dem der Spruch zugeschrieben wird, ist nicht unterm Schaffott gestorben. Die historische Gestalt kann es also nicht sein. Das Sinnbild aber griffe vielleicht in die Zukunft. Es ergibt sich die klassisch dumme Deutschlehrerfrage "Was will uns der Künstler damit sagen? ...
Sebastian Deya: l’etat, c’est moi!
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