Freitag, 25. Oktober 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1890

Heute wird gleich zweimal auf ein Buch zurückgegriffen - einmal dabei im Lyrikbereich, einmal als Fortsetzung das Prosatextes. Der Leser ahnt also, dass er viel Ungeahntes zu erwarten hat ... meist allerdings im eher weniger ernsten Bereich:

Nun bin ich etwas in Not: Wäre ich ein höflicher Mensch, stellte ich das Gastgedicht zuerst vor. Da ich es nicht bin, behaupte ich einfach, die heutigen Gedichte sind beide "tierisch". Slov ant Galis Testgedicht "Lieblingstier?!" und Thomas Staufenbiels geschmunzelter Beitrag aus "Querfeldein ist nicht immer geradeaus" "Rammlers große Not".






Gunda Jaron

S.a.B.r.I.n.A.
(2)
Das zweite Foto, das an meiner Pinnwand hing, zeigte eine etwas jüngere Kopie des Verstorbenen. Ebenfalls Typ Nadelstreifen-, Brilli- und Nobelmarken-Träger, aber alles eine Nuance zu übertrieben, als dass man ihm die gleiche Klasse wie seinem älteren Bruder hätte attestieren können.

Nur dem Auge eines geübten Beobachters konnten die leichten Ausbuchtungen unter den Armen der ebenfalls in dezentes Schwarz gekleideten beiden Herren auffallen, die in diesem Moment den Jüngeren für einen letzten Abschied nehmenden Blick an das Grab des Bruders geleiteten. Wirklich nett, dass sie ihm für diesen Anlass die Handschellen abgenommen hatten, aber schließlich war ja auch noch nichts endgültig erwiesen. Dass die Kugel, die den Graumelierten bei der diesjährigen Treibjagd genau ins Herz getroffen hatte, aus dem Gewehr seines eigenen Bruders stammte, war allerdings ein schwerwiegendes Indiz, zumal ausschließlich dessen Fingerabdrücke auf Kolben und Abzug zu finden gewesen waren. Dennoch leugnete der Jüngere standhaft, etwas mit dem Tod seines Bruders zu tun zu haben. Gut, das Motiv war noch unklar, aber es war wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis das Ermittlerteam der Staatsanwaltschaft auf den angeblich gestohlenen Laptop des Verdächtigen stoßen würde. Die Dateien darauf zu manipulieren, war eine technische Kleinigkeit gewesen, den Laptop zu „stehlen“ und ihn so in der Wohnung des Besitzers zu verstecken, dass dieser nicht darüber stolpern, die Polizei ihn aber irgendwann finden würde, das war schon eine logistische Meisterleistung, auf die ich wohl zu Recht stolz sein durfte. Eigentlich dürften die Indizien ausreichen, um diesen Mann zumindest für ein paar Jahre aus dem Verkehr zu ziehen. Dann noch ein paar Kopien der Dateien der Pressemeute zum Fraß vorgeworfen, und der üble Leumund würde ein Übriges tun.
Die Frau vorne schüttelte inzwischen die Hände einer schier endlosen Reihe Kondolierender und quetschte noch immer die eine oder andere Träne hervor. Auch hier erkannte wohl nur mein geschultes Auge, dass diese weniger Ausdruck einer tiefen Trauer als vielmehr einer ebenso tief empfundenen Erleichterung waren. Die ältere Tochter wagte schon wieder ein vorsichtiges Lächeln, das Baby war nirgends zu sehen. Ein Windstoß hob das Schultertuch an, mit dem die zierliche Frau den Nacken verhüllt hatte, und ich konnte sehen, dass die blauen Flecke mittlerweile eine grüngelbe Schattierung angenommen hatten. Ich vermutete, dass auch die Brandwunden auf der Brust und die Schnitte an den Oberarmen langsam verheilten.
Oh ja, er war vorsichtig gewesen. Nie ins Gesicht schlagen – und immer nur Verletzungen, die sie sich auch selbst hätte zugefügt haben können ... Und nie so stark, dass ein Arztbesuch notwendig gewesen wäre ... Und die gleiche Maxime hatte für seinen jüngeren Bruder gegolten.

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