Heute muss die Lyrik an den Anfang, denn es geht um das Erscheinen eines neuen Buches:
Nun ist es da: Das Gemeinschaftswerk von Gunda Jaron und Thomas Staufenbiel, das Gedichte und Geschichten der beiden Autoren enthält, u.a. auch Thomas Staufenbiels ""Legga":
Ob die beiden Autoren bereits eine zweite Auflage im Hinterkopf haben, in der dann alles superererer wird, wird nicht verraten. Begnügen wir uns mit dem Vorhandenen - so, wie "Im Schwarzen" von Slov ant Gali aus:
Ja. die Geschichte, deren Fortsetzung nun folgt, ist im selben Buch erschienen:
Gunda Jaron
Ambivalent
(2)
Für zwei Auslandssemester hatte sich Pierre an der Universität unseres hübschen kleinen Städtchens einge-schrieben und gleich in der ersten Woche seines Aufenthaltes waren wir uns sozusagen in die Arme gelaufen. Beim Joggen. Seitdem waren wir unzertrennlich. Und nun standen wir oben auf dem Dach dieses Geschäftshochhauses, in dem er für ein halbes Jahr einen Job als Nachtwächter gefunden hatte, mein Pierre. Praktisch, wenn man bedenkt, dass er ja tagsüber studieren musste. Natürlich ist es verboten, dort oben zu stehen, aber an dem Abend war uns nach Verbotenem. Pierre hatte mich an der Hand genommen, mit seinem riesigen Schlüsselbund geklimpert und sein unwiderstehliches Grinsen aufgesetzt. Oh, wie ich diesen lausbübischen Gesichtsaus-druck liebte. Mag sein, dass es etwas lächerlich wirkte, wenn er seine schiefstehenden Zähne entblößte und die Oberlippe so weit in die Höhe zog, dass sein graurosa Zahnfleisch gut sichtbar wurde, aber irgendwie war es auch wieder charmant.
„Cherie ...“, flüsterte er mir dort oben zärtlich ins Ohr. Zusammen waren wir in dem dämmerigen Treppenhaus gefühlte dreihundertvierundfünfzig Stufen hochgestiegen und hatten schließlich durch eine Stahltür das Flachdach betreten. Dort standen wir nun und schauten in den Sonnenuntergang. Die Kirchturmspitze zeichnete sich eindrucksvoll gegen den rot-glühenden Himmel ab, zwei Tauben gurrten ohrenbetäubend und uns wurde richtig romantisch zumute.
„Chérie ...“, hauchte er also. Kennen Sie das? Dieses sinnlich aus leicht geöffneten Lippen fließende, nach Kirschen in Zartbitter schmeckende Kosewort? Hmmm ... Ich lauschte seiner Stimme und weiß noch, dass ich dachte: Chérie? Irgendwie billig. Dutzendware in rosa Glanzpapier sozusagen. Aber es war unser letzter gemeinsamer Abend, und so lächelte ich nur.
„Chérie, du ...“ Ach, was er sagte, ist im Grunde genommen gar nicht von Belang, dieses übliche Zeug eben, das man so redet, wenn man zu zweit auf dem Dach eines Hochhauses steht und einen sagenhaft kitschigen Sonnenuntergang beobachtet. Er flüsterte mir einen Haufen entzückenden Blödsinn ins Ohr und zerzauste liebevoll mein Haar. Eigentlich mag ich das nicht sonderlich und ebenso eigentlich wusste Pierre das, aber ich schwieg, zumal es unser letzter Abend war – sagte ich das schon? Wissen Sie, es ist ja nicht so, dass ich eine komplizierte Frisur mein Eigen nenne, im Gegenteil, ich habe einen ausgesprochen pflegeleichten Haarschnitt: waschen, schütteln – sitzt! Dennoch schätze ich es einfach nicht, wenn mir jemand das Haar zerzaust, besonders nicht auf dem Dach eines Hochhauses. Das muss ich doch nicht begründen, oder? Gut. Es ist mir eben ausgesprochen unangenehm, speziell bei Sonnenuntergang.
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