Aufmerksame Mitleser werden sich erinnern, dass Gunda Jaron an diesem Ort ihr lyrisches Brachliegen (unter Fachkreisen vielleicht Schreibblockade genannt, unter Hobby-Psychologen "lyrischer Burnout") beklagte. Dass das nicht so absolut zutrifft, beweist sie mit "Wilder Mohn" ... keine Pflanzenkunde und auch keine Hymne für Cannabis-Fans, sondern ein Liebesgedicht ...
Mit meinem schmunzelnden "Rätsel", "Welcher war der Deutsche?" kann ich da natürlich nicht mithalten ...
Einmal wieder ein schönes Liebesgedicht ... Aber bei dem Fortsetzungsroman habe ich natürlich zu viel versprochen: Bevor die entscheidende Handlung um Marie beginnt, wird nach einer weiteren Kugelbesitzerin gefragt:
.
Slov ant Gali: Stochern im Nebel (39)
...
Ein Umzug zu viel
Lisa hatte inzwischen viele
Arbeitsstellen hinter sich. Hätte ihr zwischendurch jemand erzählt,
sie würde ausgerechnet in der Deutschen Arbeitsvermittlungsagentur
enden, hätte sie eine überhöhte Körpertemperatur vermutet. Nicht
sehr wahrscheinlich eine solche Aussicht. Inzwischen begeisterte sie
diese Aufgabe. In einem komplexen internationalen Vermittlungsprojekt
waren die Mitarbeiter der Agentur gefordert. Sie suchten für die
unterschiedlichen Anforderungsprofile die richtigen Bewerber. Lisa
war ein Sprachtalent. Natürlich wurde von jedem Bewerber erwartet,
dass er deutsch sprach, wenn er in Deutschland Arbeit suchte. Ging es
aber darum, frühzeitig Talente zu vermitteln, dann war es von
Vorteil, wenn der Vermittler die Sprache der zu Vermittelnden
beherrschte. Ohne zu überlegen, wofür sie das später einmal
verwenden könnte, hatte Lisa angefangen, Kontakte zu Familien auf
dem ganzen Erdball zu knüpfen. Es machte ihr einfach Spaß, viele
Leute zu kennen.
Zu Lisas Leben gehörten ständige
Umzüge. Sie wurde überall gebraucht und konnte nie nein sagen. Bis
vor einem Jahr hatte sie dabei immer Rahmans Kugel mitgeschleppt.
Hatte sie betrachtet, an den Jungen gedacht, dessen Bild immer mehr
verblasste … Beim letzten Umzug aber nahm sie die Hilfe einer
Umzugsfirma in Anspruch. Die hatte ihr Pappkartons ausgeliehen. Wie
hätte sie darin eine etwa zwanzig Kilo schwere Kugel unterbringen
oder anderswo unbemerkt verstecken sollen? Lisa konnte sie nicht
schleppen, ehrlicher: sie wollte es nicht mehr, und sie hatte einen
Anlass gesucht, sich von dieser Erinnerung zu befreien. Im Innenhof
unter dem Fenster ihrer Wohnung in Friedrichshain versteckte sie die
Kugel zwischen Sträuchern. Das passte ihrer Meinung nach zu der
Erinnerung. Lisa sah sich noch einmal gründlich um. Sollte sie
wirklich noch einmal einer der ehemaligen Schwurschwestern und
–brüder zu einem Treffen einladen, dann holte sie die Kugel eben
hier ab. So weit war die Cecilien- ja auch nicht von der Holteistraße
entfernt. „Sollten die sechs mich wieder treffen wollen, dann finde
ich das Ding bestimmt wieder.“
Hatte sie gedacht. Natürlich die
Sikrobenflut nicht vorhergesehen. Überstürzt flüchtete Lisa aus
Berlin. Durch die vielen Umzüge geschult suchte sie ihr Kleingepäck
gründlicher aus als die meisten zu den Trecks drängenden
Mitbewohner. An die Kugel dachte sie keinen Moment. ...
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