Sonntag, 14. April 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1711

Roger Suffo brachte mich sehr in Verlegenheit: Seine Rezension zum Roman "Andymon" von Angela und Karl-Heinz Steinmüller ist wohl seine bisher längste. Sollte man die teilen? Dann die Antwort: Das soll nicht das erste Mal sein:



Rezension zu Andymon - Eine Weltraum-Utopie
von Angela und Karl-Heinz Steinmüller

Die Grundidee ist so einfach wie genial: Die Erde hat ein Super-Raumschiff ausgerüstet. Das fliegt in fast unendliche Ferne, wo man einen besiedlungsfähigen Planeten Andymon erhofft. Als das Ziel nur noch etwa zwei Jahrzehnte Flug entfernt ist, werden die ersten Brutstätten für Menschen aktiviert. Eine Gruppe von acht Babys wird von Androiden aufgezogen – anfangs in einem künstlichen Wildpark, später dann immer mehr in der weiteren Welt des Raumschiffs und in einer simulierten Gesamtwelt von Totaloskope, durch die die Heranwachsenden eine Vorstellung der Erde und verschiedenen gesellschaftlichen Beziehungen bekommen sollen. Alle bekommen Namen, die aus dem griechischen Alphabet abgeleitet sind, mit a am Ende, wenn wiblich, ohne , wenn männlich, alle als Querschnitt des menschlichen Erderbgutes an Rassenmerkmalen. Ich fühlte mich sofort gefesselt von dem Ideenreichtum, eine solche künstliche Kindheit zu erlesen, wobei die Autoren einen besonderen Trick verwenden: Sie erzählen alles aus der Sicht eines „Beth“, der als zweiter „geboren wurde“ und im Gruppenrollenkampf auch zweiter wird hinter dem draufgängerischen Delth, der für sich stets die Führungsrolle beansprucht und auch anerkannt bekommt. Alpha wird zur Moderatorin und sie besorgt die geschlechtliche Initiation des Beth. Ein Unfall des Draufgängers während der ersten Kämpfe mit dem feindlichen Planeten zwingt Beth, die Führungsrolle zu übernehmen, was ihm aber etwas entgleitet: Auf dem Schiff einigen sich die Kinder auf eine freiwillige Hierarchie mit einem quasi Kapitän, als es letztlich darum geht, den Planeten zu besiedeln, gehen die Interessen der Einzelnen zu weit auseinander. Dort findet sich vorübergehend ein „Resth“, der in Selbstgerechtigkeit, zu wissen, was das Beste für alle sein müsse, und sich dafür berufen zu fühlen, seine Vorstellungen den anderen aufzuzwingen. Er bringt Verleumdungen und Bespitzelungen in den gegenseitigen Umgang der Gruppen miteinander ein. Praktisch wird er aus der Gemeinschaft schließlich ausgestoßen – eine der Stellen, die für mich zu reibungslos ablaufen.
Andymon erscheint als drastisches Beispiel des Terraforming. Die Kinder werden durch ihre sehr individuelle Erziehung und Ausbildung zu praktischen Supermenschen, deren intellektuelle Reife der rationalen Rundum-Bildung nahe kommt. Die Umgestaltung des Planeten von giftiger Unbewohnbarkeit zur Lebenswelt mittels Superalge-“Impfung“hätte ich für die wenigen Achtergruppen als unlösbare Aufgabe angesehen. Hier schlägt die Grundidee, dass die Vernunft (auch) der Menschen sich den ganzen Weltraum lebensgerecht umzugestalten nicht nur in der Lage ist, sondern dass dies auch ihr innerer Zweck sei, überhohe Wellen.
Dass Beth rückblickend in chronologischer Abfolge die für ihn wichtigen Erlebnisse beschreibt, beschränkt an keiner Stelle die Spannung der Handlungsbeschreibung, auch nicht, dass er sich endlich einmal wie ein unreifer Zwanzigjähriger benimmt und nicht wie der Präsident einer Planeten-Siedlungsgemeinschaft und bei der Vorstellung, der Fall „Andymon“ sei im Wesentlichen erledigt, es müsse sofort eine weitere Expedition zum nächsten „Andymon“ vorbereitet werden, etwas übereifrig ist. Schön dabei, wie die Verhältnisse übergehen von einer äußerlich homogenen, sich einigen Gruppe zu einer Vielzahl verschiedenster Interessengrüppchen.
Während an dieser Stelle die Dynamik von Gemeinschaften erlebbar wird, über die Resth-Gestalt die Entartung einer guten Idee durch „Stasi-Methoden“ dargestellt … und abgelöst wird, benutzen die Steinmüllers einen technischen Trick, den ich ihnen verüble: Geschrieben vor 1982 liegt dem Raumschiff ein technisches Niveau zugrunde, das erst in „fernerer Zukunft“ erwartet werden kann. Die Totaloskope ermöglichen es den Heranwachsenden, in die verschiedensten Rollen während unterschiedlicher Zeiten hineinzureisen, sich als alles Damalige „zu erleben“. Zum einen wage ich den pädagogischen Erfolg zu bezweifeln, wenn wer sich selbst als weiser Herrscher des Altertums feiern lassen kann, zum anderen lassen die Steinmüllers ALLE Daten / Informationen nach dem Jahr 2000 vollständig auf Null. Keinerlei Information zur Erde der Raumschiffbauzeit oder unmittelbar davor sind zugängig. Zwar schlussfolgern die Heranwachsenden, dass die vor dem 3. Jahrtausend aufgetretenen Menschheitsprobleme logisch gelöst sein müssten – wieso sonst dieses Raumschiff – warum aber sollte dies dann diesen Kunstmenschen verheimlicht werden? Es kann nur ein dramaturgischer Zug der Autoren sein, nicht darauf eingehen zu wollen – was schlimm ist, weil es die Neusiedler ja so beschäftigt, dass am Schluss die Idee aufkommt, eine Expedition zur Erde zu unternehmen. Übrigens eine Absurdität, weil diese „Menschen“ eben keine „Erdenmenschen“ sind und sie wissen, dass die ansteuerbare Erde nichts mit ihnen und nichts mit der Totalisatoren-Erde zu tun haben kann, weil Jahrtausende abgelegen, und die Expedition fast nur Sinn hätte, wenn diese Expedition die dann-Erde im Andymonzustand antrifft und sie wieder einem Terraforming-Prozess unterzieht …



Entscheidungen sind bei den "Gedichten des Tages" nicht mehr zu treffen. Die stehen für morgen schon fest:


Dunkel gruselt´s mich, dass diese Entlehnung bei der Dreigroschenoper, dieHanna Fleiss hier wagte, auf eine allzu aktuelle Meldung zurückgeht. "Und der Haifisch ..." Wir sollten uns besinnen, dass wir all dies nicht zu schnell vergessen. Danke, Hanna!
Aus Verärgerung wegen der unklaren Kritiken im Friedrichshainer Autorenkreis habe ich die "Lemminge" nunmehr etwas sonettiert ...

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