Dienstag, 23. April 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1720



Anna Roth: Wurzeln (2)



Machte man ihnen die Tür nur einen Spalt breit auf, hatten sie ihren Fuß darin, und dann wurdest du sie nicht mehr los. Ich sehe noch eure Urgroßmutter heulend in der Tür stehen, als ich aus der Schule kam: Auf dem Arm das nackte Jandl. Sie hatte gerade das Baby gebadet, da klingelte es. Eine junge Zigeunerin freute sich über das hübsche Kleine.Was es doch für niedliche Sachen habe. Was für ein tolles neues Badehandtuch. Sie habe auch ein Baby. Das möchte auch gebadet und angezogen sein. Mit diesen Worten und einem "Danke für das Verständnis!" hatte sie mit all den Sachen rückwärts den Raum wieder verlassen. Das einzige Wechselzeug war natürlich in der Wäsche ... Vielleicht hatten wir noch mehr Babyzeug. Das hatte meine Mutter aber nicht gefunden.
Ich mit meinen 12 Jahren musste nach der Schule als erstes dafür sorgen, dass das Baby nicht nackt blieb. Frag nicht wie ...
Mit 16 ging ich mit Tante Gustl und meiner Mutter zum Maifest am Tag der Arbeit. Da lernte ich euren Großvater kennen. Kurz darauf meldete e sich zum Arbeitsdienst. So brachte er un etwas Geld. Er erwischte die untere Laufbahn als Bahnbeamter, die Chance auf ein gesichertes Einkommen. Als künftiger Beamter hatte er natürlich seine arische Abstammung mit einer Ahnentafel und seine Staatstreue mit der Parteizugehörigkeit zu belegen gehabt.Den Stammbaum hatte r später verbrannt, die Partei umging er durch den Eintritt in den NSKK, so eine Art Sportbund. Er wollte nie etwas von Politik wissen.
Onkel Heinrich hatte dann das Glück mit Stalingrad. Die meisten deutschen Soldaten sind ja non dort nicht wiedergekommen. Stellt euch vor, Heinrich hätte sich nicht rechtzeitig das linke Bein abgefroren! Dann hätte ihn keiner mit dem letzten Flugzeug aus dem Kessel rausgeholt und wir hätten ihn wohl nie wieder gesehen. So war für ihn damit der Krieg schon zu Ende.
Was Vati erlebt hat, hat er nie erzählt. Manchmal gab es Feldpost von irgendwo in Europa. Manchmal km er auf Urlaub. Zuletzt war er wohl Feldwebel oder Unterleutnant. Dann kam aber schon die Front zurück. Die Nachrichten waren furchtbar. Ich hatte mitbekommen, wie WIR mit Gefangenen umgegangen waren. Sollte das nun uns bevorstehen? Dann lieber alles auf einen Karren, was nicht niet- und nagelfest war, und ab Richtung Westen. Bloß nicht den Russen in die Hände fallen!
Wir hatten ein einziges Pferd. Jandl fand es lustig, auf den Packen zu thronen und den anderen Karren vor und hinter uns zu winken. Ich aber musste mich wie immer um alles kümmern. Essbares ertauschen zum Beispiel. Bald war der Karren merklich leichter. Wenn ich wenigstens gewusst hätte, was mit Vati los war! Der letze Brief war aus Stettin gekommen. Eine Verlegung nach Wismar stünde bevor. Oder schrieb er "Frontbegradigung"? Auf jeden Fall war doch eigentlich verboten, überhaupt Orte in Briefen zu erwähnen. ...

Weiter mit den Gedichten des Tages:

Oft werde ich für besonders schwache Titel gerügt. Im Moment bin ich allerdings überzeugt, dass schon allein der Titel "Burn Out" für DIESES Gedicht als IDEE stehen bleiben können sollte. Das heißt nicht, dass man mir das Gedicht von seiner "Geschichte" her nicht verübeln könnte. Dann weise ich darauf hin, dass das literarische Ich nicht nur nicht mit dem Autoren-Ich übereinstimmt, sondern nicht einmal dessen Meinung verkünden muss ... Wie heißt es so schön: Wer keinen Kummer hat, der macht sich welchen. Insofern dürfte "Sorge sei mit uns" absolut unberechtigt sein ...


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