Sonntag, 28. April 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1725



Anna Roth: Wurzeln (7)


... Zugegeben: Niemals sonst habe ich meinen gewölbten Bauch dermaßen vorgestreckt. Einen Korb hatte ich in der Hand mit einem Brot darin und einem Stückchen Räucherspeck. Ein Messer hatte ich dabei und einen Krug Wasser. Gerufen habe ich irgendwas Polnisches. ...

... Weiß ich nicht mehr. Die paar Brocken habe ich längst wieder vergessen ... Ich habe später nie wieder polnisch gesprochen..
Der Mann, der die Truppe führte, Stanislaw, fragte etwas ... natürlich auf polnisch. Aber es war sowas von klar: Wer einen großen Topf habe oder etwas für eine Suppe? Nein das fragte ich. Auf ... na, ich dachte auf polnisch. Ich würde das Kochen übernehmen, deutsch, erstmal und sicher fänden wir noch mehr, was wir in den Topf schmeißen könnten.
Gundel hinter mir zitterte nur. Vati hatte den Finger am Abzug einer noch behaltenen Pistole.
Zum Mittag aber saßen wir am Lagerfeuer. Mit Suppentöpfen. Irgendwer hatte Gemüse gebracht, andere Beilagen, sogar Fleisch. Mehr vielleicht, als die Fremden in all der Zeit in Deutschland bisher bekommen hatten. Langsam waren die Fensterläden wieder aufgegangen. Alle schienen es loswerden zu wollen: Es war doch nicht ihre Schuld. Sie waren nie dabei. Sie wollten schon immer nur ihren Frieden. Ja, mutig waren die Mecklenburger nie.
Es folgten zwei idyllische Monate.Sogar mit Vat freundete sich Stanislaw an, obwohl er in ihm den Wehrmachtssoldaten witterte. Aber er war mein Mann. In unserer Siedlung gab es keinen einzigen Vorfall. Die ehemaligen Zwangsarbeiter halfen freiwillig bei der Gartenarbeit und beim Ausbessern der Häuser.Sie nahmen, was man ihnen gab. Man gab ihnen allerdings auch mehr, als sie ansonsten gefordert hätten. Ganz schwand die Angst vor den neuen Herren natürlich nicht.
Aus der Stadt kamen Nachrichten, die dieser Angst Nahrung boten. Vera, die Tochter der Martens, hatte ihre frühere Stellung in der Villenstraße am See behalten. Die Amis hatten sie vergewaltigt - gleich kompanieweise einer nach dem anderen. Die Eltern waren zur Militärverwaltung gegangen. Sie waren nicht zurückgekehrt.
Normalerweise sind die Mecklenburger Fremden gegenüber lange zugeknöpft und abweisend. Mein Suppentopf aber hatte wahrscheinlich die Siedlung vor der großen Rache bewahrt. Jeder konnte hier sicher über die Straße gehen. So hatte ich schnell einen guten Stand. Doch die Gruppe der Kriegsgefangenen löste sich auf. Ihre Baracken endeten als Lagerfeuer. Die Gerüchte verdichteten sich. Die Freude über die Befreiung durch die Amis war verfrüht. Schwerin war schon vorher den Russen zugesprochen worden.
Und dann hieß es plötzlich, die Amis verteilen die gesamten Lebensmittelvorräte. ...


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