Samstag, 27. April 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1724

Folgen wir zuerst weiter der spannenden Geschichte aus der Geschichte:


Anna Roth: Wurzeln (6)



... Gundel zitterte, als sie mir den Schlüssel gab, ich zitterte, als ich versuchte, ihn in das Loch zu stecken, ihn umzudrehen... Und dann endlich war Vati, euer Opa, zu Hause.
Mein Gott, was war er für eine Vogelscheuche geworden! Aber meine Nachricht hatte ihn doch tatsächlich in Wismar erreicht. Da kommandierte er, glaub ich, den Rest einer Kompanie. Er hat sie alle einzeln auf Urlaub, Fronturlaub geschickt. Hat sich selbst sofort zu Fuß aufgemacht in Richtung Schwerin. Durch Wälder und Felder geschlagen. Nachts.
... Ich war doch nicht dabei. Und er wollte nie davon erzählen, nicht protzen, dass er wohl auch ein paar Kameraden das Leben gerettet haben könnte. Nun können wir ihn nicht mehr fragen. ...
Erstmal aber war er ein Problem. Desertation hieß standrechtlich erschießen. Zwar konnten wir ihn heimlich ernähren, schützen, verbergen, aber wenn nur ein einziger der stationierten Soldatn den wehrfähigen Mann in unserem Haus bemerkt hätte ...
Doch dann löste sich dieses Problem ungeahnt schnell und einfach. Am nächsten Morgen flog nämlich eine Bomberstaffel an uns vorbei ostwärts. Da drehte einer der halbstarken Helden durch. Er schoss eine Flakgranate hinter den Fliegern her. Die einzige Wirkung war, dass zwei der Flugzeuge wendeten. Sie befreiten sich von ihrer Bombenlast und schlossen wieder zu ihrem Verband auf. Die Soldaten sahen wir nicht wieder. Aus einigen ihrer verstreuten Uniformteile haben wir später Arbeitssachen geschneidert.
Zehn Klinometer östlich pfiffen schon die Stalinorgeln, aber in Schwerin rückten die Amerikaner ein. Unsere Siedlung jedoch besetzten die bisherigen Gefangenen. Angst. In 54 Häusern verschanzten sich die Mecklenburger. Man konnte ja nicht wissen, was die da alles rächen wollen könnten. Besser, die Türen zur Straße waren verrammelt, die Fenster verschlossen. Abwarten ...
Eines aber hatten sie vergessen: 300 Männer hatten Hunger.
Den drei Männern, die sich bewaffnet den ersten Häusern näherten, sah man ihre Absichten nicht an. Wahrscheinlich selbst zitternd vor den lauernden Deutschen klopften sie an eine Tür. "Sofort aufmachen!" Das hatten sie an Deutsch gelernt.
Nichts rührte sich.
Sowas ist nun nix für mich. Gundel wollte mich noch festhalten. Da hatte ich schon die Tür geöffnet. Kriegsgefangene ... Na und? Auch nur Menschen. Fremdarbeiter kannte ich von früher. Als ich in der Küche arbeiten musste, habe ich ihnen immer die Reste zugeschoben, obwohl das strengstens verboten war. Es war doch so schade um das schöne Essen. Nur nix wegschütten! Was meint ihr, wie die Fremden sich gefreut haben!

Zugegeben: Niemals sonst habe ich meinen gewölbten Bauch dermaßen vorgestreckt. Einen Korb hatte ich in der Hand mit einem Brot darin und einem Stückchen Räucherspeck. Ein Messer hatte ich dabei und einen Krug Wasser. Gerufen habe ich irgendwas Polnisches. ...




Weiter geht´s mit den aktuellen "Gedichten des Tages":


Petra Namyslo schreibt natürlich noch. Über IHR "Die Krone der Schöpfung" hätte Gottfried Benn sicher zustimmend genickt - ich würde trotzdem Protest anmelden: Den alltäglichen familiären Klein"krieg" sollte man nicht so in einen Topf werfen ... zumindest, wenn man es (wie Petra) ja eigentlich besser weiß ... Aber sauber gemacht die acht Verse, oder?
Dafür biete ich einen weiteren, diesmal heiter-bösen Blick auf einen Beitrag aus "Mit Blindenhund durchs Liebesland": "Alles - nur nicht Liebe" ... 

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