Mittwoch, 11. September 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1851

Noch eine weitere kleine Kostprobe prosaischen Reich-tums gefällig?

Thomas Reich: "Der Stadtkannibale" (2)
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„Riecht ein wenig streng, was? Nun, wir Menschen pissen auch nicht gerade Rosenwasser.“
„Geh dir eine aussuchen, Junge.“
„Ich nehm die da vorne.“
„Gutes Augenmaß, die hat ordentlich Speck auf den Rippen. Kennst dich halt aus mit Fleisch.“
„Wie der Vater, so der Sohn. Und nun mach mich stolz.“
„Alleine wird er's wohl nicht schaffen. Die Sau reißt ihn sicher zu Boden.“
„Gib mir mal ein Seil. Ich lege es der Sau um den Hals, dann können wir sie raus in den Hof zerren.“
„Besser ist. Wenn sie quieken, wird die Herde unruhig. Nicht dass mir wieder eine vor lauter Stress den Schnapper macht.“
Doch eine Sau einzufangen, die ihr baldiges Ende schon schnuppern konnte mit ihrem dicken Rüssel, war schwer beizukommen. Quiekend nahm sie vor den beiden Männern Reißaus, während Andreas sich bedeckt hielt. Sie hatten ihn nicht um Hilfe gebeten. Und Erwachsenen ins Handwerk zu pfuschen schien selten eine gute Idee. Wie schnell galt man doch als Naseweis!
Nach einigen Runden zähen Ringens hatten Erwin und sein Vater die Sau an der Leine, und zerrten sie in den Hof.
„Steh nicht so dumm rum, schnapp dir den Zinkeimer!“
Sein Vater saß nun rittlings auf der Sau, und drückte sie mit seinen Oberschenkeln in den Boden. Auf seiner Stirn traten Adern hervor, die man selten sah. Es kostete ihn sichtlich Mühe, die Sau zu halten. Und doch lächelte er seinem Sohn zu.
„Diese ist für dich. Mach mich stolz.“
Erwin zog ein Jagdmesser aus seinem Gürtel und reichte es Andreas. Der harte Stahl der Klinge funkelte in der Mittagssonne.
„Sie wird mich beißen.“
„Du musst unterm Kinn ansetzen; dort, wo die zwei Hautlappen zusammenlaufen. Der Trick dabei ist, nicht zu zaudern. Zieh die Klinge einfach bis zur anderen Seite rüber.“
Andreas zitterte. Nicht vor Angst, sondern vor Erregung. Unter seiner Knabenhose spannte sich ein gewaltiges Zelt. Wenn es die beiden Männer mitbekamen, so sahen sie geflissentlich darüber hinweg. Oder erinnerten sich wehmütig an ihre erste Sau. Und das Gefühl von Macht, welches in den Fingerspitzen kribbelt, und sich bis in die Lenden ausbreitet. In den Augen des Tieres brach das Licht, wie eine verlöschende Kerze. Am anderen Ende des Tunnels stand Andreas, die Augen zu konzentrierten Schlitzen gepresst. Unter seiner Hand quiekte das warme Tier, und bäumte sich unter dem festen Griff von Erwin und seinem Vater. Bereitwillig gab das zarte Fleisch nach, Erwin hielt sofort den Zinkeimer darunter. Der Geruch von Blut stieg ihm urplötzlich in die Nase, schwer und bleiern. Er empfing ihn wie eine heilige Kommunion.
„Gut hast du das gemacht. Wichtig ist, das Blut aufzufangen, solange es noch warm ist. Wenn es einmal im Körper stockt, ist das Fleisch verdorben. Außerdem kann man Blutwurst daraus herstellen.“
Andreas hörte kaum zu. Adrenalin jagte durch seinen Körper wie Autos auf einer Rennbahn. Man musste töten, um sich so lebendig zu fühlen. Sein Arm ging wieder nach oben, um mit einer gezielten Geste in den Rippen der Sau zu landen.
„Nicht so stürmisch, kleiner Mann. Hilf uns, sie hochzuziehen.“
„Warum?“
„Stell dir die Sau als einen nassen Lappen auf der Wäscheleine vor.“
„Ein roter Lappen.“
„Meinetwegen. Jedenfalls läuft die Flüssigkeit besser nach unten ab.“
„Okay, Papa.“
Zusammen banden sie der Sau ein Hanfseil um die Füße, und zogen sie an der Teppichklopfstange hoch. Die Szene erinnerte ihn unwirklich an den Waschtag, wenn er Mutter half, die Wäsche aufzuhängen. Mittlerweile war seine Erektion abgeklungen, nicht aber die Erinnerung daran, wie die Klinge durch das Fleisch geglitten war. Erwin war im Wohnhaus verschwunden, ein paar Eiswürfel für den Bluteimer holen. Mücken schwirrten in der Luft, und heute Abend würden ihre Stiche tierisch jucken. Eine Katze streunte schnurrend um seine Beine, um sich auf einem gelben Grasflecken einzurollen. Andreas war zum Mann geworden.

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Und die Gedichte des Tages?

Thomas Reich möge seine hellseherischen Fähigkeiten bewahren - sein Gedicht " Pommerland ist abgebrannt" spiegelt ja vom Titel her nicht nur das Ende der Syrienkriegszüngeleien sondern nimmt ein Ende des Kriegslandes vorweg. Oder sollen wir es so verstehen, dass schon genug zerstört worden ist?!
Bei meinem Kurzgedicht wäre es spannend zu erfahren, ob gleich klar ist, auf welches "Pommerland" hier Bezug genommen wird ... oder ob wir noch ein Jahr warten müssen ...

Slov ant Gali: Senryū Nr. 106



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