Fillip, der Erdling (4)
... Es
kam ganz anders. Fillip hatte erwartet, dass ihm verstörte Kinder
entgegengelaufen kämen und er würde sie in die Arme schließen und
ihnen im Angesicht der offensichtlichen Weltkatastrophe seinen Trost
und seine Erklärungen schenken. Er hatte sogar die ersten Sätze wie
vor einem großen Auftritt erwogen, verworfen, neu formuliert. Er
hatte bemerkt, dass er gar nicht so genau wusste, was er am besten zu
der Sache sagen sollte, doch dass Max ihn mit einem vorpubertären
„Komm lass!“ zurückweisen, Hand in Hand mit seiner Schwester
nach oben gehen und zehn Minuten später wiederkommen und brüllen
würde, „Wir sind mal kurz bei Timmi!“, war schon eine
unerwartete Enttäuschung. Hatte er etwa den Zugang zu seinen Kindern
verloren? Sie waren ja sonst immer mit allen Problemen zu ihm
gekommen … zumindest dachte er das.
Also
Kuchen wieder eingepackt. Abendbrot in der Küche vorbereitet.
Dass
gerade solche Routinehandgriffe den Gedanken Raum zum freien Treiben
ließen, war diesmal kein Grund zur Beruhigung. Ganz unbeabsichtigt
verfingen sich diese Gedanken nämlich an einer Frage: Was hätte er
an Maxens Stelle getan. Zwar schummelte ihn die Fantasie dabei zwei
Jahre älter, also mit Jule gleich, aber seine Antwort war recht
klar: Er hätte seine Bande zusammengetrommelt und erste Angriffe auf
Stützpunkte des Gegners ausgeheckt. Und ihm wären einige Ideen
gekommen, die zumindest als Idee wenig kindlich geklungen hätten.
Also zuerst hätte er wohl Verkehrswege unterbrechen wollen,
irgendwas, um Züge zum Entgleisen zu bringen oder Steine von der
Brücke über der Autobahn werfen oder … nein, doch vielleicht eher
dorthin, wo er die bösen Fremden sehen konnte. Ja! Nach Berlin!
Natürlich
wäre er dann auch jedem Gespräch mit den Eltern aus dem Weg
gegangen …
Nein,
er würde keine Moralpredigt halten …
Aber
vielleicht gab es schon Neuigkeiten? Mal sehen, was das Fernsehen
bot.
Nein.
Nachdem Fillip den Fernseher wieder abgeschaltet hatte, verlief der
Rest des Tages fast gar nicht dem Weltereignis angemessen. Na gut …
mit kleinen Abweichungen. Max fragte, ob er „diesmal“ bei Jule im
Zimmer schlafen dürfe, und die Antwort, wenn sie denn einverstanden
sei, wurde etwas sehr schnell mit einem lauten „Ja!“ quittiert.
Aber eigentlich war Fillip das sehr recht. Jule war schon seit vielen
Jahren die Vernünftige, die alles ruhig Bedenkende, im Zweifelsfall
eher Zögerliche. Wenn jemand Max praktisch von Unbedachtem abhalten
konnte, dann war das Jule. Dass die beiden inzwischen eigene Zimmer
hatten, lag weniger an den beiden als an den Cliquen, die sie
mitbrachten und die wohl sehr gestichelt hatten.
Aber
jetzt … Es hatte nichts geholfen. Fillip war eine Stunde nach dem
„Gute Nacht!“ lauschen gegangen, er hatte sie intensiv flüstern
gehört, aber eben so leise, dass er nichts verstand.
Gabi
hatte nichts Neues mitgebracht. Sie kannte die Dauermitteilung.
Gesehen habe sie keine Außerirdischen, aber auch keine
Menschenansammlungen oder Bewegungen von Militär oder Ähnliches.
Sie habe aber auch nicht gewagt, „irgendwo reinzugeraten“.
„...
Und morgen wirst du dich benehmen wie sonst auch immer! Du machst
deine Arbeit, deine Pausen und alles, als wär nichts!“
„Aber
...“
„Nein,
du lässt mich sonst auch nicht ausreden. Ich weiß ja, was du sagen
willst. Ich muss dir aber einen Vorschlag machen: Wir, verstehst du:
wir bringen die Kinder morgen zur Schule. Ich weiß, das ist ein
Umweg, aber es ist das Sicherste, ich gebe sie persönlich bei ihren
Lehrern ab und gebe denen gleich noch einen Tipp, dass sie
nachmittags ein Extra-Auge auf die Kinder werfen. Du fährst dann
über die Autobahn weiter und nimmst mich nach Berlin rein. Ich seh´
zu, was ich da alles schaffe. Und dann versuche ich dich von Arbeit
abzuholen. Sieh zu, dass du vielleicht etwas früher los kannst.
Überstunden zum Abbummeln hast du doch genug. Dann können wir
vielleicht die Kinder überraschen und sie müssen nicht auf den Bus
warten. Dann freuen sie sich … hoffentlich. Deshalb hab ich auch
nichts gesagt. Nicht dass sie auf die Idee kommen, wir wollten sie
nur von Dummheiten abhalten ...“ ...
***
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Es fehlen also noch die "Gedichte des Tages", die noch einmal der Bundestagswahl gewidmet sind:
Als Hanna Fleiss dieses Blog noch mit Gedichtbonbons versorgte, war auch "Wutbürger" dabei. Damals sagte ich mir, das sollte man zur Wahleinstimmung aufheben. Zu jenem ereignis ist mir gerade etwas eingefallen, was weniger Kundige wohl für ein Haiku halten könnten:
Slov ant Gali: Senryū Nr. 109
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