Fillip, der Erdling (3)
... „ … liegt
das Schicksal aller Erdenbewohner am Herzen. Glauben Sie mir, dass es
auch unter unseresgleichen einige Wesen gab, die mit evolutionärem
Wohlwollen weiter die Selbstvernichtung der Menschheit verfolgen
wollten. Unsere durchschnittliche Lebenserwartung liegt zur Zeit bei
450 Ihrer Jahre. Unsere Prognoserechnungen hatten alle gemeinsam,
dass die Masse der wandernden Literer nicht nur das Aussterben der
Menschheit miterleben würden, sondern sie im Vollbesitz ihrer
geistigen und körperlichen Fähigkeiten am darauf folgenden
Terraforming beteiligt sein würden. Hier aber liegt unser Problem:
Über den Grad der Irreversibilität der Zerstörung der
Lebensbedingungen auf der Erde konnten keine ausreichend gesichert
erscheinenden Aussagen gemacht werden. Die Szenarien, die eine
ausreichende Wahrscheinlichkeit aufweisen, auf welche Weise das
vorhandene Gesamtleben auf der Erde dauerhaft minimiert worden sein
würde, überlagerten sich teilweise, ergänzten einander, hoben
einander auf. Leben kann nur einmal sterben. Wenn eine Hafenstadt
durch Atomwaffen ausgelöscht wurde, ist es müßig darüber zu
diskutieren, ob sie in Folge der selbst verschuldeten
Klimaveränderungen 20 oder 40 Jahre danach sowieso unter Wasser
verschwunden wäre. Wenn leicht radioaktiver Staub genetische
Mutationen hervorbringt, durch die eine Mutantenmenschheit nach 90
Jahren ausstirbt, soll man sich dann freuen, dass das in die
Atmosphäre geschossene Silberiodid-Aerosol, das dem Klimawandel
entgegenwirken soll, schon nach 37 Jahren keinen vermehrungsfähigen
Menschen zum Aussterben übrig gelassen hat? Es gibt so viele
logische Ketten, die sich in dieses Bild einfügen – kann man einer
fühlenden Form von Intelligenz da zumuten, dass sie dabei tatenlos
zusieht? Wir Literer haben abgestimmt und uns entschlossen, Ihre
Verhältnisse an Ihre Möglichkeiten so anzupassen, dass es Ihre
Lebensform zusammen mit der größeren Zahl anderer Arten von Leben
auf dieser Erde wenigstens über mehr als die kommenden 1000 Jahre
weiter geben wird. Sie werden sich verändern, wie sich alles Leben
in der Zeit verändert, aber Sie werden sein. Und wir halten es sogar
für wahrscheinlich, dass Ihre und unsere Spezies Intelligenz in
nicht zu ferner Zukunft in Freundschaft miteinander zusammen und
nebeneinander leben werden.“
Fillip
sah auf die Uhr an der Wand. Bald war es 14 Uhr. Ob Jule das auch
hörte und sah? Sie hatte ihm so vieles von dem, was die
außerirdische Sprecherin gerade verkündet hatte, an den Kopf
geworfen. So als aufbegehrende 14-jährige gegenüber dem alten
Herrn, den die Zeit gelehrt hatte, dass man ja doch nichts ändern
konnte. Wozu wohl lebten sie hier draußen in der Schorfheide? Hier
war die Wahrscheinlichkeit eines friedlichen Überlebens ohne
verschiedenartigen Smog und so am größten. Und die Leute schlugen
einander nicht die Köpfe ein. Was konnte man denn noch verlangen?
„ … uns
nicht als Freunde empfinden werden. Deshalb haben wir uns eine Art
Lebensversicherung erlaubt. Während Sie das gerade hören,
verbreitet sich in im wahrsten Sinne Windeseile auf der Erde ein
Virus, der sich in den nächsten Stunden auch in Ihren Körper
eingenistet haben wird. Keine Sorge, Ihnen persönlich wird er keinen
Schaden bereiten. Einige Spezialisten Ihrer Forschung mussten wir
unschädlich machen. Es handelt sich um all jene, die unmittelbar an
der Terminator-Technologie geforscht haben. Sie wissen ja: Diese
genetischen Veränderungen am Saatgut, die verhindern, dass aus
Pflanzen, die Ihre Bauern zum Verfüttern anbauen dürfen, neues
Saatgut gezogen werden kann, sodass sie ihr Saatgut immer neu kaufen
müssen. Vergleichbar funktioniert unser T-Virus. Sie können noch
Nachwuchs haben, übrigens widerstandsfähigen, aber dieser Nachwuchs
wird keinen Nachwuchs mehr zeugen können. Ergo: Mit der Ihnen
folgenden Generation stirbt Ihre Spezies aus, wenn Sie bis dahin
nicht gelernt haben, die Probleme Ihrer Welt auf vernünftige Weise
zu lösen. Wir werden Ihnen helfen, Ihnen den Weg weisen, aber
umsetzen müssen Sie unsere Vorschläge schon selbst. Ihr Countdown
läuft ab jetzt. ...“
Für
einen Moment schien Fillips Verstand auszusetzen, zumindest seine
Konzentration. Er verstand die Stimme nicht mehr. „Monster ... Was
für Monster!“ Das war wohl der einzig für ihn fassbare Gedanke.
Seltsamerweise kam er überhaupt nicht auf die Idee, am
Wahrheitsgehalt der Mitteilung zu zweifeln. Es war noch keine Stunde
her, da hatte er sich in einem Medienmachwerk, irgend so einem
modernen Hörspiel zu befinden geglaubt, nun gab es für ihn keinen
Zweifel: Die Erde erlebte gerade die ultimative Invasion aggressiver
Außerirdischer. Wie sie wohl aussehen mochten? Würde man sie
erkennen? Dass sie einem anderen Schönheitsideal entsprachen, war
fast sicher. Sonst hätten sie sich ja zeigen können, anstatt sich
hinter dem Bild einer Menschenschönheit zu verbergen.
Wie
würde die Menschheit reagieren, wenn es denn so etwas gab? Diese
Literer hatten vermieden, über ihre Stärke zu sprechen. Es mussten
aber eine Menge sein, wenn sie in einem solchen Handstreich alle
Kommunikationswege kapern konnten. Fillip gruselte es immer mehr. Wie
sollte man sich dagegen wehren? Es erführe die eine Hand nicht, was
die andere will und tut. Fillip erinnerte sich an einen Film über
einen Meteoriteneinschlag, durch den angebliche Elf-Wellen die
elektronischen Systeme lahmgelegt hatten. Waren sie jetzt nicht fast
noch schlimmer dran? Wenn jetzt jemand eine Widerstandsoperation
organisieren wollte, teilte er das sozusagen zuerst seinen Gegnern
mit. Die Technik zur Überwachung von Internet und Mobiltelefonen
hatten ja die menschlichen Geheimdienste entwickelt und verbessert.
Im Moment war diese Kommunikation erst einmal ganz lahmgelegt. Aber
wenn man wieder mailen konnte und so, dann waren DIE DA immer mit
dabei …
Die
Gedanken rasten, bis sie glücklicherweise auf einen viel
unmittelbarer wichtigen Fakt stießen: In wenigen Minuten käme der
Bus mit den Kindern aus der Schule. Was wussten die inzwischen? Was
sollte er ihnen wie sagen? Zum ersten Mal seit vielen Jahren bereute
Fillip, dass er so weit ab vom Schuss war. Hier draußen würde er
schwerlich jemanden finden, mit dem er sich ernsthaft über echte
Informationen unterhalten konnte. Hier passierte nur Stammtisch. Also
war klar: Wenn Gabi morgen nach Berlin reinfahren würde, also wenn,
dann sollte sie ihn mitnehmen. Er hatte noch ein paar alte Bekannte.
Die wüssten bestimmt mehr. Vorerst hieß es, sich nicht verrückt
machen zu lassen. Fillip horchte noch einmal auf die Ansage. Es war
offenbar eine Endlosschleife vom Band, denn der Text kam ihm bekannt
vor. Fillip schaltete den Computer aus und ging in die Küche. Zum
Abendbrot war es noch zu früh, aber ein Stück alten Kuchens war
auch nicht zu verachten ...
.***
Und die nächsten "Gedichte des Tages"?
Freuen Sie sich auch schon auf die bevorstehende Wahl? Singen Sie "Vorfreude, schönste Freude ..."? Bleiben Sie ruhig: Bald haben Sie Ihre Stimme abgegeben und sollten in den nächsten Jahren nicht mehr nach ihr fragen. Nehmen Sie es also poetisch und halten Sie sich an den Ratschlag "Wählt GrüSPD!", wenn Sie sich an diesen folgenlosen Fehler gewöhnt haben, Sie wissen ja ...
damit sind Sie auf der sicheren Seite, dass nicht Vernünftiges dabei herauskommt ...
Slov ant Gali: Senryū Nr. 108
damit sind Sie auf der sicheren Seite, dass nicht Vernünftiges dabei herauskommt ...
.
.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen