Freitag, 8. Juni 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1415

Was morgen bei den Gedichten des Tages anliegt?! Na, das:


Was kann man schon mit einem Gedicht, mit Kunst überhaupt, bewirken?
Zum Beispiel kann man stören durch Verstören.
Bei Thomas Reichs "Erbsünde" erleben wir mindestens zwei Mittel. Vom Inhalt her offen enthält der Text Zeichen, die dort eigentlich nicht hingehören. Man stelle sich das Ganze ohne vor ...
Ob es wohl schon (oder erst) Milliarden Liebesgedichte sind, die irgendwo geschrieben, verschickt oder heimlich venichtet wurden? Hier gilt vielleicht am zweifelsfreiesten ein Problem der Lyrik: Es ist alles, wirklich alles schon gesagt. Trotzdem bilden wir uns ein, kreativ genug zu sein, wenigstens das so oft Gesagte ein klein wenig anders sagen zu können als alle anderen zuvor und zugleich, ein klein wenig mehr "immer ICH..." in die ewige Gleichförmigkeit neu einzubringen ...


Und die Fortsetzung des utopischen Romans steht auch schon fest:


Slov ant Gali / Gunda Jaron:   

                Ich wurde Gott (78)


Eigentlich beruhten viele meiner Vorstellungen über diese Lebenswelt auf Vermutungen. Über eines hatte ich mir dabei allerdings wenig Gedanken gemacht. Ich deutete die Natur einfach als Ergebnis eines Wetters, wie es in Mitteleuropa vor dem großen Kipppunkt geherrscht hatte. Demnach war ich in einem besonders früh warmen Frühjahr gelandet und die Rotationsverhältnisse um die hiesige Sonne dehnten das Jahr auf 16 irdische Monate. Das änderte aber nichts daran, dass ein Winter zu erwarten war. Für eine wirklich kalte Jahreszeit waren die Hütten jedoch absolut ungeeignet. Nicht verschließbar, nicht abgedichtet. Grob gesehen Flechtwerk mit einem Wasser abweisenden Blätterdach. Es hätte also entweder keinen irdischen Winter geben dürfen oder ... Tja. Genau über dieses Aber hatte ich nicht nachgedacht. Das Niveau der Burg bewies ja, dass massive Bauten möglich waren. Die vielen Rituale hätten eigene Zweckbauten eigentlich nahegelegt. Ich sehe es ja ein: Ich war dabei, mich in Veränderungen von Verhältnissen zu stürzen, die nicht einmal kannte.

Ich feierte mit den Mädchen gerade den ersten gemeinsamen Erfolg: Die Kartoffelernte. Unsere „Erdäpfel“ waren hervorragend geraten. Ein Teil war so „klein“ wie Kinderfäuste, es waren aber auch richtige Kindsköpfe dabei. Diesmal ließ ich die Mädchen alle Arbeitsgänge ausprobieren. Sie sollten erleben, wie aus diesen dreckig aussehenden Knollen verschiedene leckere Gerichte wurden. Und sie sollten begreifen, wie sinnvoll manche in fernen Welten erfundene Maschine doch war. Vier der Mädchen fanden allerdings am Kartoffelschälen besonderes Vergnügen. Bevor ich mich versah, war ein Wettbewerb entbrannt, wer die längste Schale schaffte. Über einen Meter kamen die meisten. Wir einigten uns darauf, dass wir die Ergebnisse als „Girlandan“ aufhängten.
Eigentlich ging also eine besonders heitere Woche zu Ende. Ausgerechnet der Abend, der ihr krönender Höhepunkt hätte werden sollen mit einem riesigen Lagerfeuer auf dem Hof, Stockkartoffeln, Geschichten von fremden Welten, die ich gesehen hatte, und so, brachte fast den Zusammenbruch.
Es war ein sternklarer Abend. Ich erzählte gerade von den mir vertrauten Sternbildern und dass der Himmel hier ganz anders aussähe, als bei mir zu Hause, aber der Blick an den Sternenhimmel habe immer einen besonderen Reiz. Wandern zwischen den Welten ... Ich hätte wahrscheinlich einen furchtbar romantischen, für die meisten hier unverständlichen Vortrag gehalten, der nur so von meinem Heimweh triefte. Ich ließ meinen Worten freien Lauf. Ich hatte nämlich längst etwas Seltsames bemerkt: Sofern es um die Welt außerhalb der unmittelbaren Erfahrungswelt der Saks ging, gab es eine Unmenge an Legenden, die sich die Saks erzählten, an deren Wahrhaftigkeit sie aber offenbar selbst zweifelten, weil manche einander ausschlossen. Die für mich beeindruckendste Erklärung für die nachts leuchtenden Sterne war, dass allzu unverschämte Leuchtkäfer Kiku in der Luft erstarrt seien. Manche würden als Trost zwischendurch manchmal ihre Flügel bewegen dürfen und sie brauchten auch nicht zu sterben, aber oben bleiben müssten sie immer und sich tags ärgern, weil man sie nicht sah. Allen neuen Geschichten wurde begeistert gelauscht. Ich glaube, es machte meinen Mädchen überhaupt nichts aus, wenn ich behauptete, mit vielen Tausenden meiner Art an einem solchen Kiku gelebt zu haben. Alles war möglich. Warum nicht auch das. Aber natürlich folgten die Blicke der Mädchen den Gesten meiner nach oben weisenden Hände. Und dann geschah es. Plötzlich rief Sanja „Kalaspuk! Dang na pataan!“ Es war, als hätte jemand einen Zauberstab bewegt. Alle sahen in dieselbe Richtung. Und trotz des tröstenden Dämmerlichts des heruntergebrannten Lagerfeuers war deutlich zu erkennen, dass die Mädchen ausnahmslos traurig geworden waren. Schlagartig.




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