Was kann man schon mit einem Gedicht, mit Kunst überhaupt, bewirken?
Zum Beispiel kann man stören durch Verstören.
Bei Thomas Reichs "Erbsünde" erleben wir mindestens zwei Mittel. Vom Inhalt her offen enthält der Text Zeichen, die dort eigentlich nicht hingehören. Man stelle sich das Ganze ohne vor ...
Ob es wohl schon (oder erst) Milliarden Liebesgedichte sind, die irgendwo geschrieben, verschickt oder heimlich venichtet wurden? Hier gilt vielleicht am zweifelsfreiesten ein Problem der Lyrik: Es ist alles, wirklich alles schon gesagt. Trotzdem bilden wir uns ein, kreativ genug zu sein, wenigstens das so oft Gesagte ein klein wenig anders sagen zu können als alle anderen zuvor und zugleich, ein klein wenig mehr "immer ICH..." in die ewige Gleichförmigkeit neu einzubringen ...
Und die Fortsetzung des utopischen Romans steht auch schon fest:
Slov ant Gali / Gunda Jaron:
Ich wurde Gott (78)
Eigentlich
beruhten viele meiner Vorstellungen über diese Lebenswelt auf
Vermutungen. Über eines hatte ich mir dabei allerdings wenig
Gedanken gemacht. Ich deutete die Natur einfach als Ergebnis eines
Wetters, wie es in Mitteleuropa vor dem großen Kipppunkt geherrscht
hatte. Demnach war ich in einem besonders früh warmen Frühjahr
gelandet und die Rotationsverhältnisse um die hiesige Sonne dehnten
das Jahr auf 16 irdische Monate. Das änderte aber nichts daran, dass
ein Winter zu erwarten war. Für eine wirklich kalte Jahreszeit waren
die Hütten jedoch absolut ungeeignet. Nicht verschließbar, nicht
abgedichtet. Grob gesehen
Flechtwerk
mit einem Wasser abweisenden Blätterdach. Es
hätte also entweder keinen irdischen Winter geben dürfen oder ...
Tja. Genau über dieses Aber hatte ich nicht nachgedacht. Das Niveau
der Burg bewies ja, dass massive Bauten möglich waren. Die vielen
Rituale hätten eigene Zweckbauten eigentlich nahegelegt. Ich sehe es
ja ein: Ich war dabei, mich in Veränderungen von Verhältnissen zu
stürzen, die nicht einmal kannte.
Ich
feierte mit den Mädchen gerade den ersten gemeinsamen Erfolg: Die
Kartoffelernte. Unsere „Erdäpfel“ waren hervorragend geraten.
Ein Teil war so „klein“ wie Kinderfäuste, es waren aber auch
richtige Kindsköpfe dabei. Diesmal ließ ich die Mädchen alle
Arbeitsgänge ausprobieren. Sie sollten erleben, wie aus diesen
dreckig aussehenden Knollen verschiedene leckere Gerichte wurden. Und
sie sollten begreifen, wie sinnvoll manche in fernen Welten erfundene
Maschine doch war. Vier der Mädchen fanden allerdings am
Kartoffelschälen besonderes Vergnügen. Bevor ich mich versah, war
ein Wettbewerb entbrannt, wer die längste Schale schaffte. Über
einen Meter kamen die meisten. Wir einigten uns darauf, dass wir die
Ergebnisse als „Girlandan“ aufhängten.
Eigentlich
ging also eine besonders heitere Woche zu Ende. Ausgerechnet der
Abend, der ihr krönender Höhepunkt hätte werden sollen mit einem
riesigen Lagerfeuer auf dem Hof, Stockkartoffeln, Geschichten von
fremden Welten, die ich gesehen hatte, und so, brachte fast den
Zusammenbruch.
Es
war ein sternklarer Abend. Ich erzählte gerade von den mir
vertrauten Sternbildern und dass der Himmel hier ganz anders aussähe,
als bei mir zu Hause, aber der Blick an den Sternenhimmel habe immer
einen besonderen Reiz. Wandern zwischen den Welten ... Ich hätte
wahrscheinlich einen furchtbar romantischen, für die meisten hier
unverständlichen Vortrag gehalten, der nur so von meinem Heimweh
triefte. Ich ließ meinen Worten freien Lauf. Ich hatte nämlich
längst etwas Seltsames bemerkt: Sofern es um die Welt außerhalb der
unmittelbaren Erfahrungswelt der Saks ging, gab es eine Unmenge an
Legenden, die sich die Saks erzählten, an deren Wahrhaftigkeit sie
aber offenbar selbst zweifelten, weil manche einander ausschlossen.
Die für mich beeindruckendste Erklärung für die nachts leuchtenden
Sterne war, dass allzu unverschämte Leuchtkäfer Kiku in der Luft
erstarrt seien. Manche würden als Trost zwischendurch manchmal ihre
Flügel bewegen dürfen und sie brauchten auch nicht zu sterben, aber
oben bleiben müssten sie immer und sich tags ärgern, weil man sie
nicht sah. Allen neuen Geschichten wurde begeistert gelauscht. Ich
glaube, es machte meinen Mädchen überhaupt nichts aus, wenn ich
behauptete, mit vielen Tausenden meiner Art an einem solchen Kiku
gelebt zu haben. Alles war möglich. Warum nicht auch das. Aber
natürlich folgten die Blicke der Mädchen den Gesten meiner nach
oben weisenden Hände. Und dann geschah es. Plötzlich rief Sanja
„Kalaspuk! Dang na pataan!“ Es war, als hätte jemand einen
Zauberstab bewegt. Alle sahen in dieselbe Richtung. Und trotz des
tröstenden Dämmerlichts des heruntergebrannten Lagerfeuers war
deutlich zu erkennen, dass die Mädchen ausnahmslos traurig geworden
waren. Schlagartig.
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