Freitag, 5. Oktober 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1535

Zwischen dem 3.10. und 7.10. ist mitunter ein Aufschrei angebracht: Nur nix Politisches! Na, dem versuchen sich die "Gedichte des Tages" zu fügen. Inwieweit man die utopische Erzählung "politisch" versteht, bleibt allerdings jedem Einzelnen überlassen.


Ja, auch das gibt es: Sebastian Deya reimt ein Gedicht mit richtigen (!) Strophen ... und das unter einer Überschrift, die selbst schon für sich genommen ein beachtenswerter Einfall ist: "Alles bloß Gold, was glänzt" ...
Da frage ich mich, ob sich wohl mein Liebesgedicht-Entwurf nach gründlichem Überschlafen  als ein guter Wurf erweisen kann: "Nach dem späten Akt"



Slov ant Gali: Der lebende See (15)

... .Für die Schla war alles, was mit dem Kinderkriegen zusammenhing, ein belastendes Problem. Soweit ich es mitbekommen hatte, waren Schwangerschaften häufig. Bei den geborenen Babys trat dann ein Mangel, eine Krankheit auf, wodurch sie normalerweise nicht lebensfähig waren, wenn sie nicht von Mutter oder Vater noch am ersten Lebenstag in den See getaucht wurden. Hinzu kam eine extreme Müttersterblichkeit. Welcher Vater von zwei Kindern wollte schon zum Lauf an den lebenden See aufbrechen, wenn die Mutter des Neugeborenen im Sterben lag? Da zu diesen beiden Problemen dazukam, dass nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer einen Zyklus hatten, der nur gelegentlich zu dem der Frau passte, also eine Empfängnis ermöglichte, waren bewusste Verhütungsmethoden unnötig.
Ich begann zu beobachten. Unter dem Vorwand, eventuell ein zweites Kind annehmen zu wollen, begann ich Geburten beizuwohnen. Es hätte übrigens keines Vorwandes bedurft. Körperliche Scham war den Schla unbekannt und bald hatte ich im Kreis der Geburtshelfer-Frauen einen festen Platz, weil ich wesentlich kräftiger war und hilfreich zupackte.
Eines schien mir bald sicher: Jene intelligenten Wesen, die dem See als Konstruktionsplan für die Schla gedient hatten, mussten damals andere Wege für die Fortpflanzung gefunden haben. Vielleicht hatten sie die Embryonen außerhalb des Frauenkörpers kontrolliert heranwachsen lassen. Allein diese großen Köpfe! Was half´s? Nun mussten sich die lebenden Wesen auf das einstellen, was ihnen gegeben war. Was war das für eine Freude für mich, als ich endlich Substanzen gefunden hatte, mit denen ich desinfizieren, betäuben und schließlich operieren konnte! Mit Steinskalpellen! Zum Glück kannten die Schla kein Misstrauen. Ich erklärte ihnen, was ich warum und mit welchem Ergebnis machen wollte und ich kann nicht ausschließen, dass sie mir selbst dann nicht misstraut hätten, wenn beim ersten Mal etwas danebengegangen wäre. Aber ich hatte viel Glück. Lauter stolze Schla-Väter packten im Laufe der Zeit ihre Baby-Bündel und liefen zum See. Sie würden ihr Kind nicht an Wroohn und mich abtreten müssen.
Beinahe konnte mir der See leid tun. Seinen guten Ruf hatte er unter anderem dadurch, dass alle die Babys, die tatsächlich in ihn getaucht worden waren, wirklich gesund waren. Auch wenn jetzt viel mehr Babys gebracht wurden, durfte er ihnen das Leben nicht verwehren. Hätte ich nach Olahoos Geburt bereits gewusst, dass das Neugeborene einfach nur einen Moment ganz unter die Oberfläche untertauchen musste, wäre meine unterbewusste Feindschaft zum See sicher nicht so schnell gereift.
Ich begann inzwischen den nächsten Angriff. Es gab in der Gemeinde nur eines, womit man im Ansehen der Schla steigen konnte: Die Zahl der heranwachsenden Kinder der Frau. So schlecht das Gewissen auch war, das ich dabei hatte, ich führte heimlich die Zeit ein. Genauer: Ich führte den Frauen und Männern ihre Kalender und berechnete ihnen, wann ihre Partnerschaft an Würde gewinnen konnte. Die Empfängnisse ließen sich sehr genau bestimmen. Es dauerte nicht lange, da hatte sich das Kalender-Führen wie ein Sport verbreitet. Zum Tag, den die Bewegung der Sonne vorgab, kam der Monat hinzu, der aus der Zykluslänge der ältesten Schwangeren abgeleitet wurde.
So vergingen sechzig Monate. In der Siedlung ging es inzwischen viel lebhafter zu. In dieser kurzen Zeit hatte sich die Zahl der Köpfe verdoppelt. Fast hätte ich zufrieden sein können. Aber da war einmal das Problem, dass noch immer das Leben der neuen Babys von ihrer See-Taufe abhing und ich den Grund dafür nicht fand. Der andere war ein sehr intimer: Alle Hütten strotzen vor Glück über gesunden Nachwuchs. Dadurch, dass ich wirklich alle Mütter hatte retten können, waren wir eine Ein-Kind-Familie geblieben, bei der der Mann ständig wichtige Aufgaben für andere und bei anderen erfüllte. Nicht, dass wir uns schon gestritten hätten. Wir waren ja weiter so gute Freunde beieinander. Aber Wroohn hatte schon gefragt, ob wir nicht doch „zusammen ganz das tun“ sollten, „was Frauen und Männer miteinander tun, wenn sie eine Familie sein wollen.“ ...



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