Freitag, 26. Oktober 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1556

Gelegentlich stehen die "Gedichte des Tages" auch unter einem verbindenden Motto:


Scheidungsgedichte ... gibt es so etwas? Wenn ja, sind sie im Meer der blind geschriebenen Liebesschmalzpoesie untergegangen. Ich erlaube mir also, diesen Tag ins Licht der schwarzen Liebeskerzen zu stellen.
Da haben wir zum einen die "Salzwunden", Produkt der krampfhaften Selbstbelügung, man will nicht nur den Ex vergessen, sondern man habe es längst, während man doch masochistisch die Heilung der alten Wunden verhindert, zum anderen "Geständnis bei noch laufender Ehe" - die Verwunderung darüber, dass man sich eigentlich nicht mehr liebt ... äh ... da war doch mal was?!


Die Scheidung, vor der Rahmen in dem Romanprojekt steht, ist eine ganz andere:

Slov ant Gali: Stochern im Nebel (18)


... Dieser Reinfall, den er Pedro gegenüber nicht erwähnt hatte … der musste ja nicht alles wissen – in seinem Zustand bedachte Rahman überhaupt nicht, dass er ja irgendeine Geschichte erzählen musste, wenn auch Pedros Bohrer zu Bruch gehen sollte. Rahman fing einfach an.
Der Bohrer senkte sich langsam, setzte auf, es stoben ein paar Funken zur Seite, es gab ein schrilles Geräusch und … der Bohrer drang ein, als hätte er ganz normales butterweiches Holz vor sich! Rahman drückte den Rückwärtsgang. Tatsächlich: In der bisher so unverwüstlichen Oberfläche war ein winziges Loch. Zitternd suchte Rahman nach größeren Bohrern. „Das Loch“, murmelte er vor sich hin, „ich muss es vergrößern…“
Ein Wunder geschah: Er verletzte sich nicht. Er hörte sogar Pedro rechtzeitig kommen, steckte die Kugel in die Tasche, blies den Staub zur Seite, lief zurück ins Wohnzimmer …
Als Pedro die Tür öffnete, hatte Rahman sich so hingefläzt, als hätte er die ganze Zeit sehnsüchtig auf Nachschub gewartet. Aus Begeisterung über den Erfolg trank er mit Pedro mit, bis beide nicht mehr konnten und wollten.

Rahman konnte es kaum aushalten. Er entschuldigte sich bei seinen Eltern. Wochenenddienst. Er rüstete sich mit unterschiedlichsten Werkzeugen aus. Es sollte ein richtiges technisches Wochenende werden. Dachte er.
Er irrte. All sein Werkzeug brauchte er nicht. Am Freitagabend drückte er nur probeweise die Spitze eines Nagels leicht auf das Bohrloch und klopfte mit dem Hammer darauf. Schon passierte es. Die Schale zerplatzte.
Verwundert starrte Rahman auf die Reste der Kugel, die ihn vom Tisch aus staubig angrinsten: Da lag etwas, was verdächtig an ein benutztes Kondom erinnerte, nämlich die äußere Kugelhülle mit Loch. Dann lag da ein Haufen grauer Dreck, teils klumpig, teils staubkörnchenfein. Aber was Rahmans Blick fesselte, war natürlich der Kern, eben der, der das Röntgenbild so aufregend beherrscht hatte.
Ein schillernder und funkelnder Riesenkristall. Rahman nahm ihn in die Hand, putzte ihn blank, genoss das Licht, das aus ihm zurückstrahlte und presste ihn schließlich fest an sich. Seine Faust schien zu glühen, Wärme auszustrahlen, die wohlig durch den ganzen Körper floss. Ein Glückstaumel. Rahman fühlte sich federleicht. Benommen. Berauscht. Fast im selben Moment aber auch tonnenschwer müde. Er schwankte, summte vor sich hin, wiegte sich wie eine maskuline Bauchtänzerin in den Hüften. Natürlich ließ er während der ganzen Zeit seinen Kristall nicht eine Sekunde los. Er barg ihn in der rechten Hand. Mit der linken streifte er Hemd und Hose vom Körper. Ließ sie am Boden liegen und sich ins Bett fallen. Einhändig zog er die Decke über den Körper. ...

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