So ... zwischendurch ... erweitern wir den Speicher für die Gedichte unter der Überschrift "beinahe liebe". Da kann man inzwischen so unterschiedliche Beispiele finden wie "So geht´s auch" und "Bist du das?". Daraus lässt sich schon ablesen, wie verscheiden man ein Motto auffassen kann
Bei der Beziehung des Helden im utopischen Roman handelt es sich weder gegenüber seinen Töchtern noch zu den Hornissen nur um "beinahe Liebe":
Slov ant Gali: Stochern im Nebel (12)
... Aber noch überwog der Wunsch, Sina und
Leonie zu schützen. Jens schlug die Tür zu, lief um den Wagen
herum, kletterte auf den Fahrersitz, schloss die Fahrertür und
wollte vom Hof fahren. Überdachte schon die nächsten Schritte: Wenn
hier so viele Hornissen herumschwirrten, war vielleicht ihr Nest
nicht weit. Er musste sich sofort darum kümmern, die Feuerwehr rufen
…
Da waren plötzlich ohne ersichtlichen
Grund alle Hast und Unruhe wie weggeweht. Als hätte es nie eine
Veranlassung dazu gegeben. Jens tauchte in einen Traum ein.
Richtiger: Etwas tauchte ihn in diesen Traum hinein. Plötzlich
umgaben ihn lauter schwebende Wesen. Sangen und umtanzten ihn wie
Elfen oder Engel, wie Phantasiegeschöpfe von unbeschreiblicher
Schönheit. Lachten ihn vergnügt an. Vergeblich sagte er sich, das
sah er nicht wirklich, das musste eine Halluzination sein. Überall
dort, wo er jetzt schwirrende Elfchen zu erblicken glaubte, waren ihm
doch eben noch Hornissen entgegengesummt. So etwas wie eine innere
Stimme aber antwortete: Na und, ist diese wunderbare Vorstellung etwa
nicht schöner?
Langsam griff Jens wieder nach den
Armen seiner Töchter. Er zog Sina und Leonie aus dem Auto heraus.
Vergaß, dass er sie eben noch hatte beschützen wollen. Nein,
wunderte sich schon darüber: Wovor eigentlich beschützen? Vor
diesen schwebenden Elfchen etwa? Die jetzt auch noch alle irgendwie
die Gesichtszüge seiner Zwillinge angenommen hatten? Ihn als Schwarm
von Sinas und Leonies umkreisten? Das konnte er ja wohl nicht ernst
gemeint haben!
Zwischendurch, für Sekundenbruchteile,
verschwammen die Bilder. Da erkannte er im Hintergrund sein saniertes
Gemäuer. Da ängstigten ihn summende Insekten in unmittelbarer Nähe.
Aber schon war das Bild wieder ein anderes. Seine Kinder waren
überall. Schwebten mit Flügelchen um ihn herum. Wie in Trance rief
Jens ihnen zu: „Wollen wir nicht ein paar Blumen für Mama
pflücken?“ „Oh, ja“, antworteten die beiden, also die vielen,
und sie tanzten in den Garten. Jens sah einen ganzen Elfenreigen um
sich herum. Er schnitt drei Rosen ab, die Mädchen flochten vier
Butterblumenkränze. Setzten sich und ihrem Vater je eine Krone auf.
Tanzten und tanzten. Und als Janine aus dem Dorf zurückkam,
schmückten sie auch deren Kopf. Die wunderte sich überhaupt nicht
und dutzende summender Hornissen-Elfchen freuten sich mit ihnen.
In der Dämmerung erzählte Jens Leonie
und Sina wie immer eine Schlafgeschichte. Auch Janine hörte zu. Jens
lag noch lange danach munter und lauschte in sich hinein. War nun
alles in Ordnung oder nicht? Aber warum eigentlich nicht? Es war
bestimmt alles in bester Ordnung!
Erst am nächsten Morgen, als sein
E-Car automatisch den Weg zur Dienststelle in Berlin einschlug, fing
er an zu grübeln. Sina, Leo, Janine, er selbst … Waren sie gestern
alle total weggetreten? Was war da nur passiert? Kaum versuchte er in
Gedanken den tatsächlichen Ablauf des Abends nachzuzeichnen, begann
sein Kopf zu schmerzen. Und wie! Immer wenn er begann, sich auf seine
Begegnung mit den Hornissen zu konzentrieren, hätte er vor Stechen
in den Schläfen brüllen mögen. Dachte er dagegen, Ist ja
nicht so wichtig, fühlte er sich entspannt, und die Schmerzen
verschwanden von einer Sekunde zur nächsten.
Also ließ es Jens an diesem Vormittag
dabei bewenden. Er alarmierte nicht die Feuerwehr, er sprach Janine
nicht auf die Hornissen an, und er erzählte auch seinen Kollegen
nichts von der Sache. Es war ja klar, was die ihm geraten hätten:
Ruf die Feuerwehr und geh zum Psychiater! Und natürlich hätten sie
wieder über ihn gelacht.
An den folgenden Tagen fuhr er stets
beschwingt nach Hause. Im Auto trällerte er vor sich hin ... egal,
worüber er sich im Büro geärgert haben mochte. Immer neu
begeisterte Jens das Gefühl, er würde bald wieder bei seiner
Familie sein. Darauf konnte er sich doch freuen, versuchte er seine
inneren Zweifel zu zerstreuen.
Bei deiner Familie? Von wegen! Du
freust dich auf irgendwelche Hornissen! Wie abartig! Denk da bloß
nicht weiter drüber nach. Sonst … Nein, nein, nein, mit denen
hängt die Stimmung überhaupt nicht zusammen.
Hing sie natürlich doch, und Jens
wusste das. Stand nicht seine ganze Familie unter deren Einfluss?
Befanden sie sich alle in Gefahr? … Quatsch! Worin sollte die
bestehen? Er musste das herausbekommen, trotz Trugbildereien und
Kopfschmerz. Allerdings... wenn er die anderen und sich selbst von
den Hornissen befreite, ginge es ihnen schlechter als jetzt; und
sollte er sich jemandem anvertrauen, käme er so schnell nicht mehr
runter von der Psychiatercouch. Wem war damit geholfen? Es war doch
nichts Schlimmes passiert. Jens nahm sich vor, alles zu beobachten
und alles Ungewöhnliche aufzuschreiben. So, redete er sich ein,
brauchte er das Angenehme nicht aufzugeben und blieb dennoch Herr der
Lage. Aber was war überhaupt ungewöhnlich? ...
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