Donnerstag, 7. Februar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1645


Ganz so, dass mir nichts einfiele, ist es ja nun noch nicht. "Pietät?" halte ich zumindest für eine ganz (?) neue Idee ...
Und wenns anders kommt? Müssen wir trotzdem weitermachen - "Was bleibt" uns andres übrig ...

Slov ant Gali: Der Planet der 1000 Inseln (2)

Ach ja, der Sommeranzug. Er sah irgendwie unpassend, geborgt oder so aus, obwohl ich sicher war, dass er genau passend geschnitten war. Aber Mahay sah aus … Also ich hätte geraten, er juckte sie. Und er war … Also wir waren alle sehr hellhäutig, die Mädchen, die sich schminkten, versuchten einen Farbton ins Gesicht zu bekommen, der möglichst totalem Weiß am nächsten kam, ohne weiß zu sein, während Mahay dunkelerdige Haut hatte.
Mahay sah meist nach vorn zum Trainer. Ich dagegen sah meist zu Mahay und nur für die Momente, in denen sie es zu bemerken schien, nach vorn, ohne recht zu begreifen, was der Trainer eigentlich gerade von uns wollte. Zum Glück wurde ich während der ganzen Stunde nichts gefragt.
In der Pause wurde ich abgedrängt. Irgendwie neidisch verfolgte ich, wie sich die anderen um das Mädchen auf meinem Nachbarplatz drängten, wie sie sie bedrängten. Nein, ich kann mich nicht an einzelne Fragen und Antworten erinnern. Ich hatte während der ganzen Zeit ein Bild aus einem alten Film vor Augen. Darin drängte sich eine Marimeute um einen engen Käfig mit einem Prano darin. Mir schien, als fragten sie, durch die Macht der Gitterstäbe geschützt, „Beißt du?“, und das Raubtier konnte vor Enge kaum seine Zähne zeigen, aber kurz aufbrüllen.
So verging der erste Schultag. Also so direkt hatte ich kein Wort mit Mahay gewechselt. Mit Seitenblicken hatte ich sie angehimmelt und gehofft, sie bemerkte es nicht. Es widersprach einer guten Erziehung ja sehr. Ausgerechnet, dass wir an diesem Tag in keines der Spezialfach-Kabinette umzuziehen hatten, beraubte mich der Gelegenheit, Mahay etwas Unverbindliches zu sagen, also beispielsweise, wo wir langlaufen müssen. Unser Klassenkabinett kannte sie ja selbst. Und sich in der Pause zu einem Mädchen stellen, das stand nur Jungen zu, die fest mit einem Mädchen zusammen waren. Ich glaube, in der Hofpause ebbte das Interesse an der Neuen bereits ab. Nichts von dem, was man als Schülerin in einer solchen Schule zu wissen hatte, wusste sie. Von weitem beobachtete ich, wie sie lächelte. Also dass sie nicht lächelt wie unter Netten sondern verlegen, so, als wisse sie nicht weiter und dürfe genau das doch nicht zeigen. Wie gut ich gerade diese Rolle kannte!
Wie überrascht war ich deshalb, als sie mich nach Unterrichtsschluss ansprach. Die meisten anderen waren längst die erste Treppe herunter. Die beiden Trainer hatten sich zurückgezogen. Ich wollte Mahay den Vortritt lassen an der Klassentür.
„Du hast mich die ganze Zeit angestarrt. Bin ich dir ein exotischer Prano oder magst du mich so?“
„Nein, ich mag dich!“
So spontan schnell habe ich sonst nie geantwortet. Vor Verlegenheit hätte ich es natürlich bei eine solchen direkten Frage garantiert nicht. Aber woher wusste sie das mit dem Prano? Konnte sie Gedanken lesen? Nein. Dann hätte sie mich ja nicht fragen brauchen. Jetzt bloß Abstand bekommen zu allen anderen. Wie überfüllt mit Mari war doch solch eine Schule!
„Es war lieb, dass du mich nichts gefragt hast. Es ist peinlich, wenn man keine vernünftige Antwort geben kann, und ihr wusstet doch, dass ich keine vernünftigen Antworten geben kann.“
Und mir war peinlich, dass sie das sagte. Ich hätte ihr ja noch viel mehr Fragen gestellt, wenn die anderen mich gelassen hätten, wenn ich mich nicht hätte wegdrängeln lassen. War dann keine Antwort auch eine Antwort?
„Weißt du, man hat mich provisorisch in eine Wohngemeinschaft untergebracht. Da gefällt es mir nicht. So viele Fremde. Ist noch Platz in deinem Zimmer? Ich möchte zu dir ziehen. Fragst du?“
Also was da alles durch meinen Kopf jagte, kann ich wirklich nicht geordnet aufschreiben. Vor allem sah mich Mahay mit einem Blick an, dass ich das Gefühl hatte, jedes Zögern würde sie als Beleidigung, mindestens als Zurückweisung, Verletzung auffassen. War das bei den Maniani so normal? Fragte das ein Mädchen dort so? Also ich wusste nur, dass das bei uns so nicht normal war, nicht einmal, wenn das Mädchen in einem Alter war, in dem es eine eigene Familie führen konnte. Drei Jahre vor Schulschluss war das bestimmt nicht … Also man muss doch aber fremde Sitten achten. Das Schlimmste, was ein Mari tun kann, ist es, einen fremden Gutmeinenden zurückzuweisen.
„Aber da muss ich erst meine Eltern fragen, also ich lebe noch richtig bei meinen biologischen Eltern zusammen und die sorgen sich, dass ich nichts anstelle und … Ja, ich frage sie gleich. Nur einen Moment!“
War das peinlich. Dieses Gesicht, so traurig, enttäuscht, als ich meine Antwort mit aber begonnen hatte. Also nicht, hatte in ihrem Blick gestanden. Sie war stehen geblieben, mit jeder Sehne zum Absprung ansetzend zu einem anderen Weg, fern dem meinen für immer. Das hätte ich doch nicht … Nein, da musste ich jetzt durch! ...

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