Mittwoch, 27. Februar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1665


Zwischendurch zwei weitere einfache Kandidaten für das Projekt "Voran zur Natur" ...
"oktober"
"Eine Brillenfrage"




Slov ant Gali: Der Planet der 1000 Inseln (21)

Mahay war einfach eingeschlafen. Irgendwann würde sie mir erzählen, wie das auf ihrer Insel funktioniert hatte. Aber so konnte sie doch nicht bleiben! Vorsichtig wickelte ich sie in ihre Decke ein. Sie knurrte unwillig. Mahay, das musst du dir schon gefallen lassen! Ich bin jetzt für dich verantwortlich ...

In einem hatte ich mich getäuscht: Die Hoffnung, Mahay mit meinem umfangreichen Vortrag befriedigt zu haben, musste ich schon am nächsten Nachmittag aufgeben. Es war ihr sofort aufgefallen: Die Sache mit den Alltagshallen ließ sich leicht überprüfen. Die gab es ja in der Nähe. Mahay mochte zwar aus eine Gegend stammen, wo so wenige Mari lebten, dass jeder jeden kannte (warum unterstellte ich das eigentlich? Sie hatte noch nichts darüber erzählt und der Schulunterricht schloss das Kapital über die Maniani mit ihrem Auszug aus dem, was wir Zivilisation nannten, und der Aussage, dass es danach, also extrem viele Generationen, keine Kommunikation mit der Insel gegeben habe, weil diese von den Maniani nicht gewünscht werde), also mochte Mahay von der Dorfinsel stammen, sie hatte praktisch weniger Angst vor Gewühl als ich. Aber was blieb mir übrig … sie wollte sich durch die am nächsten gelegene Alltagshalle führen lassen. Wer anders sollte das tun als ich?
Schließlich fand ich einen guten Trick, um die eigene Unruhe zu überspielen: Ich erzählte einfach drauflos, immer unterstellend, Mahay würde meinen Ausführungen lauschen. Das ging schon im Aufzug los.
„Seit die Maniani fortgezogen sind, hat sich unter anderem das Bild der Städte verändert. Also genauer: Inzwischen kann keiner mehr sagen, so wie hier oder dort sieht eine Stadt aus. Viele Städte sind zu bewohnten Museen geworden. Dort hat man einfach die Gebäude erhalten, die aus den Vorzeiten schon da waren. Manche wurden in ihren verrückten Mischungen gepflegt, bei anderen entschieden die Bewohner, dass sie Häuser, die irgendwie den einmal bestehenden Ureindruck störten, durch Nachbauten passender Bauwerke ersetzten und man also, wenn man diese Städte besucht, zugleich in bestimmte Zeiten reist. Hauptsache, das meiste wird benutzt. Es soll sogar Städte geben, in denen haben sich die Bewohner dafür entschieden, sich entsprechend ihrer Stadt-Zeit zu kleiden. Also die Empfehlung kommt von interessierten Bewohnergruppen. Das fördere die Zusammengehörigkeit. Ich finds zwar doof, aber bei uns ist fast alles möglich, was niemandem schadet. Und man muss dann schon in bestimmten Städten wirklich gewesen sein, um deren Zeugs zu bekommen. Die vertreiben ihrs nicht im Netz. Aber eine Wohnbombe wie unsre ist eher meine Sache. In den neueren ist alles drin. Unsere ist eine ältere. Da musst du kurz raus, um zur Schule zu kommen oder eben zur Alltagshalle. Das lag an den Möglichkeiten zur Belieferung. Die Halle wurde so gebaut, dass sie Produkte aus allen Richtungen aufnehmen konnte. Von Straßen und Schienen auf dem Untergrund genauso wie aus der Luft. Deshalb sagen viele Mari auch Bahnhof zu der Halle, weil daneben gleich die Anschlüsse sind, von denen aus wir bis an die entferntesten Inseln reisen können.“
Wir waren unten angekommen. Zusammen wagten wir einen Blick nach oben.
„Vielleicht wird dies auch einmal eine Museumsstadt, wenn dann noch jemand hier wohnen will. Es ist nämlich ein so gewaltiger Klotz, dass du seine Wucht gar nicht von Nahem ermessen kannst. Er stammt noch aus der Zeit der Strahlenangst. Da waren die Bauleute begeistert, diesen unheimlich leichten Bauschaum entwickelt zu haben, der angeblich absolut keine Strahlungen durchlässt. Und weil das Glas nach außen nicht gleich sicher war, wollten viele Mani mittendrin wohnen. Verstehst du: Es gibt in dem Bau Wohnungen, die haben rundum nur andere Wohnungen, kein einziges Fenster nach draußen! Heute hat das aber auch ein Gutes: Kaum sonstwo gibt es so viele unterschiedliche Gemeinschaftsräume für Freizeitbeschäftigungen. Du musst eigentlich schon einen Hausplan haben, um alles zu finden. Also, wenn ich hier nicht geboren wäre, würde mir das bestimmt nicht gefallen. Ich glaube, ich bin eigentlich als Landstädter geboren. Das sind ganz verrückte Einfügungen von Wohnmöglichkeiten in die Landschaft. Ich könnte mir vorstellen, mal in einer Grubenhöhle zu wohnen. Da ist das Gebäude sozusagen unterirdisch, aber nicht tief, sondern wie ein Hügel, auf dem Pflanzen wachsen, also sozusagen auf dem Dach. Die Fenster sind auf der Höhe der weiten Landschaft, du kannst aus deinem Zimmer heraus Früchte von jungen Bäumen pflücken. Du musst nur Ideen haben. Du setzt sie ins Netz, damit sich Mari zusammenfinden, die Ähnliches gut finden, und andere, die es praktisch umsetzen können. Es muss ja jemand die Arbeit für sowas machen – selbst, wenn die unmittelbare Bauarbeit von Robotern ausgeführt wird. Die müssen ja gefüttert werden.“
Mit meinem Gequatsche hatte ich Mahay vom Weg abgelenkt. Beinahe plötzlich, also zumindest für sie plötzlich, standen wir in einem riesigen mehrteiligen Eingangsbereich. Wegen des vielen Glases konnte man weit ins Objekt hinein sehen … oder soll ich besser tief sagen? Die Vorräume aus meiner Beschreibung waren leicht wiederzuerkennen. Das Einzige, was ich nicht erwähnt hatte, waren die emsigen Roboter, die das Dazugekommene ständig so ein- und umsortierten, dass es nicht im Weg stand oder lag, aber trotzdem gesehen wurde und griffbereit lag.  

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