Freitag, 15. Februar 2013

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1653


Ein zweites Trauergedicht von Gunda Jaron - "Weg ohne Wiederkehr". Bei diesem erlaube ich mir eine Meinung: Es ist eines der beeindruckendsten Gedichte, die mir begegnet sind. Der Vater ist zu bemeiden, der mit einem solchen Gedicht verabschiedet wird ... wenn er es denn hören könnte ...
Ich kann da nur vergleichsweise leichtere Kost dagegenhalten, ein Gedicht, dass sich auf eigene Weise mit dem Begriff "Nachhaltigkeit" beschäftigt und seine Erstveröffentlichung im unglücklichen Lyrikband "worträume" erlebt hat: "Die Hu und die Fu"



Weiter mit der Romanidee:



Slov ant Gali: Der Planet der 1000 Inseln (9)




„Du hast so viele Haare.“
„Aber die anderen haben doch auch so viele Haare. Die sind nur ein klein bisschen heller.“
„Aber nicht überall ...“
Immerhin konnte ich auf diese Weise gut die Tiergesten erklären, die Mahay ja sicher bemerkt, aber offenbar noch nicht verstanden hatte.
Ein verrückter Nachmittag. Wäre mein Vater auf die Idee gekommen, bei uns reinzuschauen, er hätte leise die Tür wieder geschlossen und sich in der Vermutung meine überraschenden Frühreife bestätigt gefühlt. Er hätte mich über die auf meiner Matratze ausgestreckt auf dem Bauch liegende nackte Mahay gebeugt gesehen und vielleicht meine Hände an ihr. Er hätte sich sicher nicht die Zeit genommen, um zu erfassen, was ich da tat. Mahays Haut war von dichtem Kräuselhaar großflächig überzogen. So, wie ich versuchte, meine Männlichkeit zu pflegen, indem ich mich – seit langem schon, also schon seit Zeiten, als dies nur Angabe war – rasierte, half ich Mahay nun, ihre Haut freizulegen, damit sie aussah wie die der Mani hier. Das sei ein offensichtlicher Unterschied zu den Mani ihrer Insel, wo es Mahays Aussage nach normal sei, ein solches „Fell“ zu haben. „Vielleicht verträgt deine Haut deshalb auch unsere Chemikalien nicht ...“
Das Mädchen verwirrte und beeindruckte mich immer wieder neu. Aber was sollte ich mit ihr machen? Sie zeigte überhaupt keine Verlegenheit, wenn ich ihren intimsten Stellen nahekam. Ich war irgendwie … Wie soll ich das sagen … Mochte das bei denen auf ihrer Insel noch so normal sein, bei uns war es eben das Zeichen höchsten Vertrauens, etwas, was nur für eng verbundene Frauen oder Männer denkbar war. Dazu kam meine Scham wegen der Szene vor der Schule. Ich war eben nur ein Junge, kein Mann. Mahay ging mit keinem Wort darauf ein. Mich aber beschäftigte eine idiotische Frage: Musste ich in meiner besonderen Rolle nicht derjenige sein, der ihr erklärte, dass sie sich zu verhüllen hatte, also wenigstens Intimes? Wie sollte ich ihr erklären, für wen das galt? Hätte ich ihr dann erklären müssen, dass das nicht nur für meine Eltern, sondern auch für mich galt? Oder hätte ich erklären müssen, dass das Einverständnis meiner Eltern für ihren Einzug bei mir auf einem Missverständnis beruhte und wäre es kein Missverständnis mehr, dann durfte zwischen uns alles bleiben, wie es war, klärte es sich aber als Missverständnis auf, dann musste sie sich ein anderes Zimmer suchen und jemanden anderes, der sie rasierte … zum Beispiel? Dann aber hätte ich mich völlig umsonst lächerlich gemacht.
Nach diesen verwirrenden Gedanken vermied ich, alles Intime anzusprechen. Anstatt dessen stellte ich lieber einen Plan auf, wann und wie wir feststellen wollten, was sie alles von unseren Unterrichtsfächern nicht kannte und überhaupt von unserem Leben. Dabei wurde mir zumindest eines klar: Ich brauchte mir keine Arbeitsgruppenleitung mehr durch den Kopf gehen lassen. Unser Plan würde das ganze Schuljahr ausfüllen, wenn wir den umsetzen wollten. Und meine Bewerbung um ein Quali-Jahr würde ich wohl zurückziehen müssen. Gut, ich konnte mir wahrscheinlich Zeit lassen, ich war noch zu jung, und dann war ja immer noch eine Frage, ob ich etwas zugewiesen bekäme, bei denen meine Eltern ihr Veto einlegen konnten, aber Mahay war wahrscheinlich eine viel wichtigere Aufgabe als alle großen Abenteuer dieser Welt. So dachte ich und zögerte, ob es nicht besser wäre, wenn sie nichts von meiner Meldung und der Abmeldung ihretwegen erführe. Ich konnte mich einfach nicht entscheiden. Vielleicht erklärte ich es ihr später. Sie verstand ja bestimmt nicht, was es mit dem Quali-Jahr auf sich hatte. Ich war nie sonderlich beliebt in der Klasse. Wenn ich mal von Tino absehe, hatte es keinen Mani gegeben, für den es einen Unterschied gemacht hätte, ob ich nun da war oder nicht. Erst Mahay brauchte mich. Wirklich mich. Ich war wichtig für sie. Doch beim Einschlafen packte mich eine böse Angst: Wie lange wäre ausgerechnet ich es noch, den sie brauchte? Die Blamage in der Turnhalle hatte meine Zeit nur verlängert. Im Moment würde ihr niemand anderes näher kommen wollen. Und es war doch wirklich ein nicht vorhersehbarer Zufall gewesen. Irgendeines der Mädchen trödelte sonst doch immer und die hätte dann auch Mahay gezeigt, wie sie zu ihrer Sportkleidung kam. Ach, Mahay! Sie war doch ein so liebes Mädchen. Früher oder später mussten das auch andere bemerken. Und mit meinem Tun musste ich dazu beitragen, dass es andere bemerkten. Danach wäre ich viel schlimmer allein als je zuvor. Ich richtete mich auf meiner Matratze auf. Im Dämmerlicht meiner Sternenzimmerdecke konnte ich Mahay erkennen. Sie schlief. Atmete ganz ruhig. Was war ich nur für ein egoistischer Mani. Am liebsten wäre ich aufgesprungen, hätte dem Mädchen über die Wange gestrichen und mich für meine Gedanken entschuldigt. Damit hätte ich sie aber geweckt. Das kam natürlich nicht in Frage. Also warf ich mich auf die Matratze und wartete auf den Schlaf.

...  

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