Na, man weiß doch, dass "normalerweise" jetzt zuerst die "Gedichte des Tages" vom Folgetag "folgen" und dann eine Fortsetzungsprosa ... und da eine Erzählung begonnen wurde, wird die wohl weitergehen. Es liegt also alles im grünen Bereich:
Woher kommt nur dieses böse Grinsen, wenn sich mir die Frage in die Tastatur mogelt, ob da Thomas Reich mit seiner "Marion" eine konkrete Person gemeint haben könnte? Eigentlich ist es doch egal. Es geht um eine bestimmte Geisteshaltung, die wohl auch "bekannt vorkommt" ...
Es gibt Lyrik-Freaks, denen Gedichte wie "zerbrechlich" gefallen, nicht nur, aber auch, weil sie Interpretationsspielraum lassen. Aber sind es mehr als wenige? Achtung: Es ist ein Liebesgedicht ...
Slov ant Gali: Der lebende See (4)
... Nun waren
die Schla zwar nicht die absolute Krönung der Evolution. Eigentlich
hinkten sie mindestens Jahrtausende hinter der menschlichen
Entwicklung her. Aber dafür, dass sie sich nicht im Kampf ums
Lebensrecht hatten anpassen müssen, war ihre relative Intelligenz
eine unerklärliche Verschwendung der Natur. Noch dazu, wenn es
wirklich nur diese kleine Gemeinde geben sollte.
Ich lernte von Wroohn fleißig die
Schla-Sprache, obwohl das Mädchen mich darin nur widerwillig
unterrichtete. Sie sagte mir ganz offen, dass ich mich dann ja ohne
sie mit anderen aus der Siedlung unterhielte. Wenn ich sie nicht mehr
brauchte, würde ich sie nicht mehr wollen. Wollte ich das denn?
In der Argumentation meiner Wroohn
schimmerte ein Problem durch: Wenn wir länger eng zusammenleben
würden, gäbe es unweigerlich das Problem, dass sie eine Frau und
ich ein Mann war und das hieß, dass einer wollen würde, dass wir
miteinander täten, was Männer und Frauen, die so eng miteinander
sind, eben miteinander tun.
Ich weiß nicht mehr wie, aber bestimmt
sehr vorsichtig sprach ich das Thema an und Wroohn schien
erleichtert, nun offen mit mir darüber reden zu können.
„Wenn wir miteinander zärtlich sind,
dann aber so, dass ich nicht an einem Baby tragen muss. Es würde
mich zerreißen. Bei so vielen holt sich der See die Frucht der
Schmerzen zurück. Wir sind so gute Freunde. Lass mich lieber weiter
an dir spielen, wenn du das jeden Tag brauchst.“
Damit schien für sie die Sache klar.
Ich gebe zu, damals verstand ich nur „gute Freunde“ und fand es
beruhigend. Über mehr dachte ich nicht nach, denn mich hatte ein
Gedanke gepackt, über den ich zumindest im Moment mit niemandem
reden konnte: Für die Existenz der Schla-Gemeinde auf diesem
Planeten gab es, wenn ich die bekannten Gesetze der Evolution als Maß
anlegte, eigentlich nur eine Erklärung: Die Schla stammten nicht von
hier. Allerdings verunsicherte mich etwas Anderes: Wenn sie aus einer
anderen Welt stammten, dann musste diese andere Welt ja seinerzeit
Raumfahrt betrieben haben. Hatten sich die Schla selbst so weit
zurückentwickelt? Oder waren ihre Vorfahren eine eigene Gruppe mit
einem niedrigen Niveau, die die höhere Zivilisation zum eigenen
Schutz zur ungestörten Entwicklung in diese Idylle verbracht hatte?
Aber das wäre unverantwortlich gewesen bei einer so kleinen Gruppe.
Konnte ich mir die Antwort von den Schla selbst holen? Auf Umwegen?
Jede junge Zivilisation hatte ihre Mythen, ihre alten Geschichten. So
verworren sie meist waren, … oft fand sich darin der Schlüssel in
eine ferne Vergangenheit. Ich musste die Mythen der Schla kennen
lernen. Wenn ich von anderen Menschen aus dieser Robinsonade befreit
werden würde, hätte ich zumindest den Ansatz für systematischere
Forschungen geliefert.
Als ich Wroohn fragte, erlebte ich ein
Desaster.
„Was die Alten erzählen, wo wir
herkommen? Na, aus dem See des Lebens. Wir sind seine Kinder und er
wird uns wieder zurücknehmen, wenn wir nicht mehr gut genug sind,
ihm Auge, Hand und Ohr zu sein auf dem Land, wo es nur einmal regnet
am Tag.“
Das mit dem Regen war nicht
mythologisch. Das hatte ich selbst beobachtet.
Aber dann ergänzte Wroohn: „Du hast
deine Kraft, dein Leben, deine Schönheit ja auch aus dem See. Er hat
dich mir gegeben und ich bin sehr dankbar für eine so große Gabe.“
Ich hätte fast geheult. Von meiner
Schönheit hatte Wroohn gesprochen. Auf der Erde sagte man, Liebe
macht blind. Da musste mich dieses Mädchen also sehr lieben. So ganz
leicht hätte ich es noch immer nicht über mich gebracht, Wroohni
schön zu nennen, aber wenn ich ihr übers Gesicht strich, war ich
meiner Männlichkeit sehr dankbar, dass sie für mich sprach.
Andererseits bekräftigte Wroohn meine
These. Ich war ja sozusagen von oben gekommen. Meinetwegen aus dem
See des Lebens, aus
dem der Regen kommt. Ja,
ich war damals geneigt, „See des Lebens“ als bildhaften Ausdruck
für den Himmel aufzufassen, aus dem die Vorfahren der Schla gekommen
sein könnten, nur damit meine Hypothese passte! ...
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