Schade an dem Gedicht ist, das "nervtötenden" nicht in der Wortmelofie bleibt. Ansonsten ist der heimatliche Menschen-Spiegel, den Petra Namyslo in "Infantil" lyrisch anbietet nämlich einen Platz im Kabinett menschlicher Verlorenheiten wert. (Ob die Beschriebenen sich wohl selbst erkennen?)
Na, dann setze ich eben ein Herbstgedicht daneben - schließlich ist gerade der 1. "Oktober" ...Slov ant Gali: Der lebende See (10)
... Als ich
erwachte, flog ein großes Bündel durch die Luft. Meine Finger
verkrampften. Ich merkte, dass ich das schlafende Baby umfasst hielt.
Ich erkannte Schla aus der Siedlung. Mein Blick fiel auf die
Oberfläche des Sees. Ausgebreitete Arme, ein überdimensionaler
Hinterkopf, ein aufgeblähtes Umhang-Kleid. Langsam taucht alles
unter. Ein paar Blasen noch. Schwarze, glatte Oberfläche. Stille.
Nur ich sehe mich entsetzt um. Ringsum Erwachsene meiner Siedlung mit
Gesichtern, die Abschied nehmen, stumm, gefasst und irgendwie
trotzdem glücklich.
Die Vorsteherin kam auf mich zu, Wroohn
an ihrer Hand. Mit der Bestimmtheit der Verantwortung nahm sie mir
das inzwischen quäkende Baby aus den Händen. Reichte es Wroohn.
Meine Wroohn hielt es, wie ich es von stillenden Menschenfrauen
kannte. Das Babymädchen suchte, fand ... da begann der Zug der
Frauen. Eine jede schöpfte mit beiden Händen Wasser aus dem See,
ließen Wroohn trinken und tropften Reste auf den Kopf des
Baby-Mädchens. Obwohl ich es nicht wollte, starrte ich das Bild die
ganze Zeit an. Über dreißig Frauen nacheinander wiederholten die
Griffe der ersten.
Diese Nacht verbrachten wir alle am
Ufer des Sees. Es geschah aber nichts mehr, was zu überliefern wert
wäre. Die folgenden Tage und Nächte waren ein ständiges Hin und
Her. Mal meinte ich, das müsste ich nicht verstehen, so sei das
offenbar bei den Schla, mal stöhnte ich über das, was wohl auch die
jungen Väter bei den Menschen durchmachten.
Vater sein. Für viele Tage versank
alles Andere im Nebel der Unwirklichkeit. Doch zwischendurch,
besonders, wenn ich ausnahmsweise nicht durch Babygebrüll aus dem
Schlaf gerissen wurde, umschlich mich eine Ahnung von Grauen. Ich
konnte einfach nicht sagen, schön, dass Olahoo lebt, egal, was es
mit dem See auf sich hat, ich musste mich daran festhalten, dass der
Augenblick kommen würde, da würde ich die Geheimnisse dieser Welt
entschlüsselt haben …
Monate vergingen. Meine Beziehung zu
Wroohn war durch Olahoo vielseitiger geworden. Wir teilten nun eine
Aufgabe, mit der wir über die Grenzen unseres eigenen Lebens hinaus
Verantwortung übernahmen. Das kleine Mädchen machte es uns leicht.
Es war sehr ruhig, lächelte viel und ich war sehr stolz darauf,
jedes Lächeln dieser winzigen Schla zu erkennen, ja, es auch
vorsätzlich auslösen zu können. Überhaupt legte ich genau jenes
Benehmen an den Tag, mit dem sich junge Eltern vor Nicht-Eltern
mitunter lächerlich machen. Vor allem schien Olahoo zu spüren, wenn
ihren Nur-gute-Freunde-Eltern nach dem Austausch von Zärtlichkeiten
war. Sie schien sich ihre eigenen Bedürfnisse zu verkneifen, schlief
entweder tief und fest oder gab zumindest keine störenden Geräusche
von sich. Ich hätte nie geahnt, wie viele Zärtlichkeiten es gibt,
die man austauschen kann, wenn man akzeptiert, dass eine ganz
spezielle eben nicht geht.
Andererseits machte das Anderes so
schwierig. Immer, wenn ich daran dachte, das Geheimnis des lebenden
Sees lüften zu wollen, hatte ich das Gefühl, Wroohn zu hintergehen.
Sie war so penetrant liebenswert in ihrer Art. Das Schlimme war, dass
es für die Siedlung keine Herausforderungen gab. Die Nahrung war
vielseitig, angenehm in unterschiedlichen Geschmäckern und leicht in
der Gewinnung. Die Hütten, die ja eigentlich gar keine waren,
erfüllten ihren einzigen Zweck, den Nachmittagsregen abzuhalten. Von
leichtem Schutz für die Füße abgesehen gab es keinen Grund für
irgendwelche Bekleidung. Höchstens war das Wedeln der lockeren
Umhänge erfrischend für die Haut. Was sonst eventuell gebraucht
wurde, fand sich im Umkreis von drei Kilometer Radius – insofern
war die Entfernung zum lebenden See eine unerklärliche Ausnahme. Er
schien tatsächlich verschiedene Heilkräfte zu enthalten. Wroohn
hatte er zum Beispiel in eine Amme verwandelt. Einen See zum Baden
gab es ja unmittelbar hinter der Siedlung – und dessen Wasser war
wirklich klar, klarer ging es nicht. Er bildete das andere Ende der
Welt der Schla. Wäre ich nicht im Dämmerzustand nach dem Absturz
noch ein Stück gelaufen, hätten die mich nie gefunden. ...
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