Was mir an dem Gedicht "Ausgewaschen" von Thomas Reichgefällt, verrate ich nicht. Es wäre langweilig für den Leser, darauf mit der Nase gestoßen zu werden. Ich beschränke mich auf das, was mir nicht gefällt, und sage ein Wort: Selbstmitleid. Ein Glück, dass wir zwischen Autor und lyrischem Ich unterscheiden können ...
Selbstmitleid?! Na, da passt doch ein mit Schmunzelgrübchen überzogenes Herbstgedicht gut dazu, oder? Nennen wir es "Sandstrandelegie"
Slov ant Gali: Der lebende See (7)
... Aber Wroohn
zog schon ihr Kleid über den Kopf. Was blieb mir übrig. Auch ich
legte meinen Umhang ab, griff nach Wroohns Hand und schritt vorwärts.
Das Wasser war warm, fast hätte ich „blutwarm“ gesagt. Es wurde
schnell tiefer, erreichte Wroohns Kinn, Wroohns Nase, ihre Augen,
ihre Stirn, ihre dünn-wirren, silbern glänzenden Haare. Schon war
ihr Kopf unter der Oberfläche verschwunden. Bei diesem Tempo bliebe
sie mindestens drei Minuten unter Wasser und ich wusste nicht, wie
tief es noch werden würde. Ich packte meine Schla mit dem Arm, hob
sie über die Wasserfläche, schritt weiter. Ich war nie ein
sonderlich guter Schwimmer, doch mich an der Oberfläche halten und
vorankommen, als ginge ich am Grund spazieren, war eine leichte
Übung. Da machte Wroohns kleines Gewicht keinen Unterschied.
Inzwischen hatte ich den Eindruck, die
Mitte erreicht zu haben. Bislang war ich noch an keinen einzigen Korb
gestoßen. Das war mir genauso unerklärlich wie die Tatsache, dass
alle Körbe sofort versunken waren, obwohl sie eigentlich hätten an
der Oberfläche schwimmen müssen.
Wir waren dem anderen Ufer näher als
dem, von dem wir gekommen waren. Plötzlich ein Schreck!Von wegen
Körbe oder Faulgase! Mich umfassten plötzlich riesige, ich meine
wirklich riesige Pranken. Vier Hände an Unterschenkeln und
Brustkorb. Die Kraft eines unsichtbaren Monsters zog mich nach unten
und mir war, als leckte eine Zunge an mir. Diese Zunge schien zwei
Meter lang und mehr als einen halben Meter breit und an jedem
Hautfetzen unter der Wasseroberfläche gleichzeitig zu sein. Es gab
kein Vorwärts mehr. Aufgeben, einfach aufgeben, den Moment
verkürzen. Aber Wroohn? Krampfhaft hielt ich sie so, dass ihr Kopf
über Wasser blieb. Warum hatte sie sich nur darauf eingelassen, wenn
sie doch nicht schwimmen konnte. Noch immer die Zunge. Aber kein
Maul! Stillstand. Atmen.
Ich hörte absolut nichts. Eigentlich
unmöglich, dass die vielen Schla am Ufer … Oder hielten sie alle
vor Entsetzen den Atem an?
Und dann hatte ich das Gefühl, die
Riesenpranken rutschten an meinem Körper abwärts. Nein. Es war nur
die eine. Eine andere hängte sich an den Arm, an dem Wroohn hing.
Alles nicht wahr. Ein solches Untier
konnte es nicht geben. Wenn es wenigstens Wroohn in Ruhe gelassen
hätte. Hätte die jetzt gezappelt, … ich hätte nichts tun können.
Gemeinsam wären wir versunken. Doch sie vertraute meinem Arm. Und …
War das alles nur Einbildung? Krämpfe?
Angst? Jedenfalls war da nichts, was an meiner Haut leckte, als das
ungewöhnliche Wasser. Nichts zerrte an mir. Ein paar
Hundepaddelbewegungen mit den Beinen, dann hatte ich Grund. Als mein
Bauchnabel zum Vorschein kam, fiel mir ein, Wroohn abzusetzen. Aber
loslassen, nein, loslassen würde ich sie nicht. Als ich bis zu den
Knien aus dem Wasser war, erreichte mich der Gesang der Vorsteherin.
Wir mögen durch den See zurückkommen. Wir kamen – ohne
Zwischenfall. Kleideten einander an. Also wirklich ich Wroohn und –
das muss ein Bild gewesen sein – Wroohn mich, indem sie an mir
hochkletterte, um den Umhang über meinen Kopf zu bekommen.
Vom Rest der Feier bekam ich kaum etwas
mit. Die ganze Zeit fragte ich mich, ob ich wirklich erlebt hatte,
was ich meinte, erlebt zu haben, und wenn ja, was das gewesen sein
konnte. Ein lebender See? Mir war er wie ein tötender See
vorgekommen. Wahrscheinlicher schien mir, dass ich einer
Sinnestäuschung zum Opfer gefallen war. ...
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