Motto des Tages: Wir können nicht loslassen, weil wir so sehr lieben.
Auf Gunda Jarons "Abschied", eine Bahnhofsszene, die sicher schon viele so empfunden haben, antworte ich mit der weiter bearbeiteten Fassung von "Innig" ... Wie hieß noch die Formel? Bis dass der Tod euch scheide? Das kann man auch SO sehen ...
Slov ant Gali: Der lebende See (9)
... Mit der
Angst der Verzweiflung rannte ich. Erst einmal nur, um aus dem
Blickfeld der Schla zu kommen, dann mit der Angst, die ersten Schla
könnten von der zurückliegenden Hügelspitze aus auf die Idee
kommen, dass ich mich nicht genug beeilte. Schließlich, weil ich
nichts anderes wusste als weiterzurennen. Zweimal prüfte ich den
Inhalt des Bündels. Das Baby war noch nicht tot.
Wie viele Kilometer der Weg lang war?
Ich bekam genauso wenig eine Vorstellung davon wie bei dem Zug, in
dem ich hatte untertauchen können. Als ich dann endlich über die
letzte Hügelkette hinweg war und den See sah, packte mich plötzlich
eine maßlose Verzweiflung. Was hatte ich gerade Unsinniges getan?
Mein Schicksal war so oder so besiegelt. Wieder prüfte ich den
Zustand des Babys. Noch immer nicht tot. Aber … musste dieses
Würmchen als erste und wahrscheinlich einzige Lebensäußerung
diesen Brei in die Matte abgeben? Scheiße?! So konnte es doch nicht
bleiben!
Ich atmete tief durch. Beinahe böse
grinste ich dieses feindliche Wasserloch an. Nun würde es doch noch
eine Rolle spielen. Das Flechtwerk, in das das Baby eingewickelt
gewesen war, schmiss ich achtlos zur Seite. Vorsichtig näherte ich
mich dem stillen Gewässer. Ich tauchte den unteren Teil des
Babykörpers ins Wasser und meine beschmierte Hand. Etwas auf und ab,
reiben, drehen. Also, wenn ich es richtig sah, wäre das ein
Schla-Mädchen geworden. Noch einmal … Verdammt!
Gerade noch bekam ich auch mit der
Hand, die ich mitgewaschen hatte, die Ärmchen des Würmchens zu
fassen. Doch der Zug wurde immer kräftiger. Ich kam mir vor wie ein
Angler, bei dem ein Megamonsterriesenfisch angebissen hatte, die Rute
bog sich, der Angler stemmt sich, kommt ins Rutschen, will noch immer
nicht loslassen …
Um Widerstand zu leisten, hätte ich
mich irgendwo abstützen oder festhalten können müssen. So aber
waren auch die Ärmchen unter Wasser und ich rutschte vom Ufer weg,
versank im Schlick. Nun war kein Stückchen Babyhaut mehr über
Wasser. Ach, hatte ich schon erwähnt, dass man kaum zentimetertief
unter Wasser sehen konnte? Nur nicht loslassen! Aber ich fand keinen
Halt.
Irgendwas habe ich geschrien. Seewasser
kam mir in den Mund, durch die Nase in den Rachen, in die Augen …
Ich habe den Augenblick verpasst, als
die Kraft nachließ. Also nicht meine Kraft, sondern die Kraft des
Soges. Allmählich merkte ich, dass ich zum Ufer schwamm, das Baby
als Siegerbeute auf einer Hand hochgestreckt aus dem Wasser. So
wenige Bewegungen und solch eine Erschöpfung! Plötzlich begann das
Baby zu schreien. Es brüllte. Ich konnte mich nicht aufrichten,
versuchte mich daran zu erinnern, ob ich einen Film gesehen hatte,
wie man in so einem Moment ein Baby hält. Und dann hustete es und
spuckte Wasser und brüllte und gab endlich ein Geräusch von sich,
das so zärtlich Bäuerchen genannt wird und das mir so laut vorkam,
als sei das Würmchen größer als ich … und dann war es still. Ich
hielt ein Ohr an die winzige Brust. Es atmete. Ganz ruhig. Schlief.
Ein ansteckender Schlaf ...
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