Sonntag, 5. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1290

Warum schreiben Menschen Gedichte?
So richtig allgemein-poetisch könnte die am häufigsten zu erwartende Antwort lauten "...weil da etwas in mir drin ist, was raus muss...". Was aber ist, wenn wir mit Menschen zusammen leben (zusammenleben?), die mit dem, was aus uns raus will, nichts anfangen können? Da können wir durchaus das Jürgen-Polinske-Problem durchleben, nämlich, dass wir etwas, was andere uns abverlangen, Form geben müssen. Bei ihm hieß dass dann

 Meine Frau bittet mich:


Ein Beitrag am Rande des bitteren Ernstes im 40. Jahr des Friedrichshainer Autorenkreises ...

Da ziehen wir uns liebe in die sicheren Gewässer der übermorgigen "Gedichte des Tages" zurück:


Dank an Ursula Gressmann. Sie sandte ein Gedicht ein mit Raben im "niemandsland". Ich hatte schon Sorge, mit der galaktischen Kuckucksuhr für zu viel Zeit zu sehr den Blick auf eine "Vogelperspektive" eingefrenzt zu haben. Da kam diese Aufgabe. Viele Schreibgruppen machen das: Gegeben wird ein Stichwort oder zwei und jeder testet, was ihm dazu einfällt. Ich holte also die Raben in mein "niemandsland" ... und es kam eine andere Aussage heraus ... 
Als ich dies verkündete, bekam ich von Ursula Gressmann eineFabel. Da Frage ich mich, welcher Vogel bin ich denn darin?


Nun kommt etwas Gewagtes: Diese SF-Geschichte hat noch nicht ihre Endfassung erreicht. Sie ist aber als wichtige, wenn nicht wichtigste Säule für den geplanten Slov-ant-Gali-Sammelband "Im Heute das Morgen" mit viel innerem Kampf entstanden. Hier also der Start für


Liebe Kinder

(1)
Claudia heulte hemmungslos. Ihr Ärmel hatten kaum das letzte Tränenwasser aufgesaugt, da trat neues an seine Stelle. Längst hatte sie allen Zellstoff aufgebraucht.
Nimm dich endlich zusammen, meinte die eine innere Stimme - wozu denn, antwortete die andere, es hört und sieht ja keiner.
Aber du musst Martin endlich antworten!
Aber wozu? Es hat keinen Sinn mehr.
Rein technisch gesehen hatte die Antwortstimme Recht. Martin hatte sie vor neun Monaten kontaktiert. Da hatte sie als noch ungewöhnlich attraktive 15jährige in die Webcam geblinzelt. Und das Bikinioberteil unter dem hautengen Top so geschickt ausgestopft, dass Martin prompt danach gefragt hatte und sie ihm stolz verkünden konnte „75 C ...“. So habe man das früher genannt und sie finde, das sei doch ein gesundes Maß. Was hatten sie danach herumgeblödelt! Martin war eigentlich ein Glücksfall. Einerseits sah er richtig scharf aus, ein Typ, dem die Mädchen garantiert hinterherliefen, aber zugleich hatte er überraschend reif gewirkt trotz seiner 15. Verständig. Nicht so, wie die Jungen, denen Claudia bis dahin begegnet war. Er hätte vielleicht …
Nein, es war besser, dass sie sich nicht wirklich nahe gekommen waren. Als sie zum ersten Mal an sich bemerkte, wonach sie sich jeden Morgen abgesucht hatte, war Claudia jene Idee gekommen, wie sie gedacht hatte, die rettende. Sie hatte geschwindelt. Dass irgendetwas an dem Programm nicht funktioniere. Sie keine Ahnung habe was. Vielleicht sei es auch ein Problem des regionalen Netzanbieters. Sie habe die Reklamation abgeschickt und warte auf Antwort …
Dabei hatte sie einen Verzweiflungsanfall gehabt und so lange auf dem verräterischen Auge herumgetrampelt, bis der beste Techniker ihr nur noch zu einer neuen Webcam hätte raten können. Seitdem chatteten sie wie in der Anfangszeit des Internets. Der eine schrieb, verschickte seinen Text und wartete auf die Antwort des Anderen. Die Handynetze waren ja zusammengebrochen.
Später dann kam es Claudia so vor, als alterte sie mit jedem Tag um ein Jahr. Sie übertrieb natürlich. Sie hätte dann ja schon 280 Jahre alt sein müssen und das hatte es selbst in der besseren Vergangenheit nicht gegeben. Aber kam sie sich mitunter nicht so vor?
Hätte sie Martin nicht doch einweihen sollen? Hätte sie es ihm zum Beispiel damals schreiben sollen, als sie sich das erste Mal nicht mehr die Zehennägel lackieren konnte? Weil sie nicht mehr dort unten ankam? Vor Schmerz hätte brüllen mögen? Bei aller Vernunft … Martin war doch nur ein Junge … was verstand der von gesund glänzenden Nägeln und dem Ekel, den ihre Füße jetzt bei ihr auslösten?
Immerhin konnte sie sich mit ihm über Bücher austauschen. Er hatte selbst noch richtige gelesen, verstand, was drin stand, diese Probleme von Greisen, die viel älter geworden waren als 30 Jahre. Er hatte aber auch Verständnis, wenn sie ihm von Sanne und Tim berichtete. Obwohl er gar keine Geschwister hatte und seine Bekannten wohl auch nicht. Aber er gab sich große Mühe, ihr Tipps zu geben, was sie die beiden alles unterrichten sollte und wie. Richtig gute Tipps manchmal sogar. In der Schule wäre Martin bestimmt ein ausgezeichneter Schüler gewesen und Lehrer geworden, vielleicht. Und das sowohl in Mathe, Physik, Deutsch, Englisch, Kunst und Sport zugleich. Eine tolle Mischung. Er hatte sogar Gitarre gelernt. Schade. Lieder beibringen ging nun nicht. Und Sexualkunde ging auch nicht. Was sollte sie Sanne alles erklären?
...  

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