Samstag, 25. Februar 2012

Lyrik-Prosa-Wortkultur 1310

"Wir Deutschen".
Brunhild Hauschild lädt wieder ein zum Nachdenken darüber, was man an einem gereimte Gedicht alles besser machen kann. Gönnen wir uns einmal den Luxus, den Inhalt zu akzeptieren. Dass "wir" uns diesen Präsidenten "verdient haben" und wer ihn uns eingebrockt hat, steht leider außer Zweifel. Nein. Etwas zur Form. Da haben wir beispielsweise ein Reimschema. Normalerweise gibt die erste Strophe das vor. In unserem Fall 2 Paarreime. Brunhild schmeißt das über den Haufen: Es folgen durchgängig Kreuzreime.
Elegant, wie die Autorin andererseits mit ihrem Sprachmittel Wiederholung gearbeitet hat: Jeweils auf zweimal "Wir Deutschen" folgt eine Strophe zum Luftholen.
Weniger elegant der Einsatz von "männlichen" und "weiblichen" Reimen. Hier habe ich kein System entdecken können, was stört, weil es sich mit dem anderen Sprung überlagert. (weiblich wäre "gefallen - von allen" männlich "gefällt - der Welt" ...
Soviel dazu. Um den Vergleich zu Slov ant Gali zu vermeiden, folgt etwas wenig Vorbildliches und Ungereimtes: "Jeden Tag eine gute Tat" ...

Danke also Brunhild. Solche Selbstkontrollen bei gereimten Gedichten bewirken dann eine noch weiter erhöhte Wirksamkeit, sofern man nicht umgekehrt in Eintönigkeit verfällt. Wir wollen eigentlich weder mit den Gedichten des Tages noch mit der SF-Fortsetzungsgeschichte Eintönigkeit verbreiten ...


Slov ant Gali: Kanskes Kamera (3)

Kanske ließ ihn gar nicht ausreden. Demonstrativ riss er die Kamera hoch, rief „Augenblick!“, knipste scheinbar freihändig, fragte den verdutzten Redakteur „Darf ich?“ und schloss, ohne die Antwort abzuwarten, die Kamera an den mitgebrachten Laptop an. Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, dann drehte er den Bildschirm um.
Unwillig folgte sein Gegenüber der Sieh-her-Einladung. Stutzte. Gegen jede Vernunft blickte ihm da sein eigenes Konterfei entgegen – als Brustbild ohne Schlips, Hemd und Unterhemd. „Was …? Wie …?“ stammelte er noch.
Kanske rief, schon im Gehen: „Machen Sie draus, was Sie wollen!“
Er ließ seinen unfreiwilligen Gastgeber in grenzenloser Verwunderung zurück. Aber nicht lange. Zu tief verwurzelt war die Spürnase des Redakteurs für eine gute Story. Bereits die ersten Recherchen ergaben, dass er sich beeilen musste, wollte er der erste sein. Und das wollte er natürlich. Er schrieb den Artikel sogar selbst und platzierte ihn auf Seite 1: „Stellen Sie sich vor, jemand richtet wie unbeabsichtigt eine Kamera auf Sie … und schon waren sie sein Aktmodell ...“ begann sein Text.
Eben dieser Text war nur knapp der erste. Alle Sensationszeitschriften, bald schon alle Medien, die ja Geld verdienen mussten, brachten etwas Vergleichbares. Jeder brachte eine eigene Version. Innerhalb einer Woche entging man deutschlandweit in keinem Dorf mehr dem Namen Bertram Kanske. Entsprechend schnell geriet die allgemeine Überzeugung ins Wanken, dass das Ganze nur ein Fake sein konnte.
Und die Objekte der Debatte? Man sah Kanskes Bildbände in Erotikshops, im Megastore und im Buchladen an der Ecke. Natürlich mit anderen Motiven.
Bertrams Seele, wenn es denn eine gegeben haben sollte, war schnell gesichert: Nach der ersten Woche waren es ein gutes Dutzend „Freunde“, die unter dem Siegel der Verschwiegenheit nach der Kamera fragten und sich gierig gegenseitig überboten. Was, dem hast du sie für … versprochen. Wenn ich das Doppelte biete? Und diese „Freunde“ hatten Freunde und es dauerte nur noch eine weitere Woche, bis es einen eigentlich unmöglichen Markt für die Nackt-Kameras gab. Kanske gab sich als lieber Freund, der Verständnis hatte, dass die Kamera gestohlen worden war und … versprochen die Bilder und ja, eine einzige habe er noch übrig.
Inzwischen war er berühmt, reich … aber fast schon einsam. Was lohnte sich denn noch erjagt zu werden?
Die Sensation begann bereits wieder zu verblassen. Was sind denn entblößte Menschen wert, wenn sie jeder haben kann?
Kanske wagte sich sogar auf wissenschaftliches Terrain. „Psychologie des nackten Augenblicks“ schrieb er mit lockerer Hand zusammen. Natürlich bot er ausreichend Bildmaterial dazu. Wieder eroberte er einen Bereich der Öffentlichkeit: die Populärwissenschaft. Jeder konnte dort etwas verkünden, was er zur Wissenschaft erklärte. Kanskes Ruhm war Wissenschaft. Das Verrückteste war, dass sich all dies im Zeithorizont von Wochen ereignete. Ein knappes halbes Jahr.
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